Pharmaprojekte werden immer komplexer. Das ist eine Binsenweisheit. Aber was bedeutet das tatsächlich für die Projektabwicklung? Wie sollten Betreiber, Apparatebauer und Engineering-Unternehmen zusammenarbeiten, damit auch bei Änderungen alles im Zeitplan bleibt. Und welche Kompetenzen fordert das vom Lieferanten?
Der ideale Projektleiter hat einen extrem reißfesten Geduldsfaden, Nerven von der Stärke eines Drahtseils, Selbstbewusstsein und diplomatisches Gespür. Sein Gemüt ist angesiedelt zwischen Dalai Lama, Buddha und Papst, und ein Schuss Tiefenpsychologie kann sicher auch nicht schaden.
In der Realität sind solche Wunderwesen eher selten anzutreffen, aber Salvatore Mobilia – überlegt, in sich ruhend und technisch versiert – ist auf dem besten Weg dorthin. Nach fünf Jahren Projektleiter Pharma bei Glatt in vorderster Linie hat er allerhand gesehen, und wenn er beginnt, aus dem Nähkästchen zu plaudern, spricht jahrelange Projekterfahrung aus ihm.
Die Zeiten bis zum Time-to-Market werden kürzer
Gerade das jüngste Vorhaben hat es in sich, und die Herausforderungen, die er in den letzten drei Jahren dort zu bewältigen hatte, stehen beispielhaft für die Anforderungen an die Zulieferunternehmen, die in den vergangenen Jahren deutlich anspruchsvoller geworden sind. „Die Anlagendesigns werden komplexer und die Zeit für die Umsetzung knapper“, erklärt Mobilia. Vergingen früher schon einmal fünf Jahre von der Grundsteinlegung bis zur Inbetriebnahme, ist das heute ein kaum mehr vorstellbarer Zeitraum: Zwei, maximal drei Jahre, dann muss die Anlage stehen. Jeder Tag, der ein neuer Wirkstoff nicht auf dem Markt ist und seine Entwicklungskosten wieder einspielt, kostet bares Geld.
Auch bei Glatt hat sich daher in den letzten Jahren die Art, wie Projekte abgewickelt werden, verändert. Früher war es so, dass nach der Vertragsunterzeichnung ein Übergabetermin stattfand, an dem der Projektleiter alle Informationen bekam und das Vorhaben übernahm – erst dann hatte er den ersten Kontakt zum Kunden. Das sei heute anders, sagt Mobilia, und angesichts geänderter Rahmenbedingungen auch nötig. „Gerade bei komplexen Projekten ist es wichtig, dass der Projektleiter schon bei der Angebotserstellung mit am Tisch sitzt, um technisch zu beraten“, betont er.
Kein Projekt ohne Risiko – darüber sprechen ist wichtig
Gerade das Thema Projektrisiken sollte man nicht unterschätzen, warnt Mobilia. Fast-Track war früher, heute geht es um Super-Fast-Track, und da ist viel auf Kante genäht. Für den Lieferanten bedeutet das: Lieferfristen von einigen wenigen Wochen und ein entsprechend eng getakteter Zeitplan, in den auch die Subkontraktoren mit eingebunden werden müssen.
Symptomatisch in der Pharmabranche ist, dass Investitionsentscheidungen für Neubau-, Umbau- oder Erweiterungsprojekte gerade bei neuen Wirkstoffen deutlich später getroffen werden als noch vor einigen Jahren. Oft erfolgt das Go erst in der Zulassungsphase, wenn sicher ist, dass nichts mehr schief geht, und dann muss alles sehr schnell gehen. Das Management gibt eine sportliche Terminplanung vor, die bei allen Beteiligten vom ersten Tag an für hohen Zeitdruck sorgt.
Was das für die klassischen Phasen, beginnend von der Projektdefinition im Basic Engineering über Detail Engineering, Beschaffung und Konstruktion, Qualifizierung, Validierung und Inbetriebnahme bedeutet, kann sich jeder ausmalen, der schon einmal an einem Pharmaprojekt beteiligt war.
Damit steigt auch die Verantwortung des Lieferanten, Planung und Konstruktion sauber zu koordinieren und trotz des Zeitdrucks, die Anlage zum vom Management gewünschten Termin fertig zu stellen.
Spannend wird es für den Lieferanten vor allem im Detail Engineering, wenn Pflichten- und Lastenheft erstellt und abgeglichen werden. Für den Projektleiter des Apparatebauers beginnt dann eine fordernde Zeit, denn jetzt wird festgelegt, wie die Anlage genau aussehen soll.
Schön, wenn das Projektteam des Pharmakunden ausreichend Zeit hatte sich im Vorfeld detailliert Gedanken darüber zu machen, wie er sich die Anlage vorstellt und dem Lieferanten genaue Angaben machen kann. „Mittlerweile erleben wir immer häufiger, dass der Kunde im Tagesgeschäft kaum Zeit findet, das Projekt im Basic Engineering sauber zu planen“, erzählt Mobilia.
Ganz schnell verabschieden sollte man sich von der Vorstellung, alle Projektphasen nacheinander abarbeiten zu können. „Oft werden vom Engineering-Unternehmen Bestellungen schon ausgelöst, bevor das Design Freeze abgeschlossen ist“, weiß Mobilia. Wird hier geschludert, kann es auch schon mal vorkommen, dass der Apparatebauer beim Einbau vor Ort fest stellt: Hoppla, der Raum ist ja viel zu klein für die bestellte Anlage. Oder es werden aus 50 Metern Rohrleitung auf einmal 100 und aus einem Stand-alone-Gerät eine komplette Linie mit Arbeitsbühne und WIP-Leitungen.
Bei den Konfliktgesprächen, die ermitteln, wie der Fehler zustande gekommen ist und wer die Mehraufwendungen schließlich bezahlt, wäre man gerne dabei gewesen. Alles schon vorgekommen, sagt der Projektleiter. Auch Glatt habe Lehrgeld bezahlt. Um so herausfordernder sei es, solche Fehler schon zum Projektstart weitmöglichst auszuschließen. „Eines unserer wichtigen Ziele ist daher, dem Auftraggeber das Projekt transparent zu machen. Mit 3D-Zeichnungen z. B. schaffen wir es, den Kunden schon ganz früh abzuholen und ihm seine Anlage in einem frühen Stadium zu visualisieren“, erklärt Mobilia. Perfekt sei das Konzept, wenn der Auftraggeber beim Design Freeze zustimmend nicke.
Dreamteam für ein Erfolgsprojekt
Und wie schafft man das? Vier Säulen, so Mobilias Überzeugung, machen den Erfolg aus: Führungs-, Fach-, Sozialkompetenz und ein hochmotiviertes Team, das in der Lage ist, selbst Entscheidungen zu treffen, und auch einmal Nachtschichten schiebt. Gesamtbild und Ziel müsse allen Beteiligten klar vor Augen sein. Der Projektleiter hält alles zusammen: Technik, Schnittstellen, wirtschaftliche Aspekte und die Menschen, auch im internationalen Umfeld. All das macht jedes Projekt zum Unikat und einen Auftraggeber zum zufriedenen Kunden. ●
(ID:47377699)