Wie Sie mit der Simulation Innovationspotenziale in der Verfahrenstechnik heben

Die Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion und nachhaltigere Nutzung von Ressourcen hin zu einer Kreislaufwirtschaft erfordert eine Vielzahl neuer und innovativer Prozesse in der Verfahrenstechnik. Mithilfe von Simulationswerkzeugen können vorhandene Risiken bei der notwendigen Umstellung erheblich minimiert werden, sodass die Serienreife in deutlich kürzerer Zeit erreicht wird.

Der Green Deal der EU und die neue politische Agenda in Deutschland bedeuten, dass viele der heutigen Produktionsprozesse in der chemischen und pharmazeutischen Industrie in naher Zukunft nicht mehr genutzt werden können. Um das Ziel einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft zu erreichen, müssen eine Vielzahl dieser Produktionsprozesse umgestellt werden. Das wiederum bedeutet, dass die Anlagen der Grundoperationen in sehr kurzer Zeit unter vollständig anderen Randbedingungen und mit teilweise völlig neuen Stoffen eingesetzt werden müssen. Diese Umstellung birgt große Risiken, aber auch ein gewaltiges Innovationspotenzial. Dieses wird bislang von vielen Unternehmen kaum genutzt, weil sie die finanziellen Risiken einer Fehlentwicklung oder einer zeitraubenden Umstellung scheuen.

Die bisherige Methode, bewährte Prozesse der Verfahrenstechnik für neue Anlagen anzupassen und kontinuierlich in kleinen Schritten zu verbessern, wird nicht mehr ausreichen. Notwendig sind neue und innovative Lösungen, die in einer viel kürzeren Zeit als bisher zu Markt- und Serienreife gebracht werden müssen. Eine Möglichkeit, den Innovationsgrad hochzuhalten und gleichzeitig Entwicklungskosten zu reduzieren, ist die Verwendung von agilen Entwicklungsmethoden in Kombination mit dem Einsatz von Simulationswerkzeugen – nach dem Motto: „Verbessern in Iterationen durch schnelleres Lernen mittels virtueller Fehler“. Agil beschreibt eine Entwicklung, in der mithilfe von iterativen Schleifen eine innovative Idee ausprobiert und durch schnelle Fehleridentifikation verbessert wird. Mit der Simulation lassen sich Entwicklungsprozesse beschleunigen.

Die Verwendung von Simulationswerkzeugen bei der Entwicklung und Optimierung von Anlagen und Produktionsprozessen erfordert eine systematische und schrittweise Herangehensweise. Unter den Annahmen, dass die Simulationssoftware und die Hardware bereitstehen und dass die Nutzer qualifiziert sind, bieten sich folgende Schritte an:

1. Definition der Aufgabenstellung mit einer Festlegung der Eingangsparameter und der zu bewertenden Zielgrößen.
2. Kalibrierung der zu simulierenden Materialien mit einem passenden Kalibrierversuch.
3. Ausführung der Simulation und Auswertung der numerischen Ergebnisse.
4. Validierung der Simulation anhand vorhandener Messdaten zwecks Qualitätssicherung.
5. Variantenanalyse mit der Simulation, um die Einstellgrößen der Maschinen, die Parameter der Prozesse oder das Scale-Up zu bewerten und zu optimieren.
Der letzte Schritt ebnet den Weg zur simulationsgetriebenen Produkt- oder Prozessentwicklung. Dabei wird Simulation beispielsweise schon während der Konzeptphase verwendet, um frühzeitig ungünstige Varianten auszuschließen. Zudem kann die Simulation während des gesamten Entwicklungsprozesses genutzt werden, um die Anzahl der Versuche deutlich zu reduzieren. Technologieführer wie Bayer gehen bereits heute diesen Weg, um schneller bessere Produkte an den Markt zu bringen oder neue Produktionsprozesse schneller zu optimieren.

In einem Entwicklungsprozess, bei dem Simulation eingesetzt wird, erfolgen die „Fehler“ ausschließlich in einer virtuellen Welt – ohne teure Nebenwirkungen. Daher können mit Verfahrenssimulationen komplexe Wechselwirkungen neuer Prozesse besser verstanden, Varianten mit unerwünschtem Verhalten aussortiert und innovative Ideen zielgerichtet optimiert werden. So setzt die Bayer AG bereits seit Jahren Simulation zur Optimierung ihrer Produktionsprozesse ein und verfügt daher über das nötige Wissen und Können, um mit Simulation die notwendigen Umstellungen der Produktionsprozesse zu realisieren. Und bei Cadfem erhalten Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus einer Hand alles, damit Simulation in Entwicklung und Konstruktion erfolgreich integriert werden kann. Anhand von zwei Beispielen wird im Folgenden aufgezeigt, wie Simulation genutzt werden kann, um Grundoperationen im Rahmen eines neuen Prozesses zu optimieren.

Beispiel Zerkleinern
Die Zerkleinerung bzw. das Mahlen von Feststoffen sind wichtige Grundoperationen in der Verfahrenstechnik. Zerkleinerungsprozesse sind energieintensiv und entsprechend mit hohen Kosten verbunden. Zudem sind bei der Prozessführung folgende Herausforderungen zu beachten:

die Akkumulierung der feinen, zerkleinerten Partikel;
die Dauer des Arbeitsvorganges und die Schädigung des Materials aufgrund zu hoher Scherkräfte und zu hoher Temperaturen während des Prozesses;
Anlagen müssen bei der Nutzung neuer Stoffe immer wieder neu ausgelegt werden, was in der Regel mit hohen Kosten verbunden ist und zu langen Produktionsausfallzeiten führen kann.
Für die Zerkleinerung von Feststoffen ist die Diskrete Element Methode (DEM) die am besten geeignete Simulationsmethode. Hierbei werden die Bewegung und die Interaktion aller Partikel berechnet und die Zerkleinerung in der Anlage mithilfe von Bruchmodellen simuliert. Über diese Bruchmodelle lassen sich in der Simulation Aussagen über die Partikelgrößen nach dem Bruchprozess treffen (siehe Bildergalerie Abb. 1). Sie hängen von der Festigkeit, der Bruchneigung und der Form der Eingangspartikel ab.

Im gezeigten Beispiel einer Siebmühle kann auf diese Weise die Form von Rotor und Sieb analysiert werden, ebenso wie die Betriebsparameter. Auf einfache Weise kann ermittelt werden, welche Vorteile die Rotation oder die Oszillation des Rotors bieten und welche Frequenz und Amplituden die besten Ergebnisse liefern. Darüber hinaus lassen sich der spezifische Energiebedarf sowie auftretender Verschleiß über die resultierenden Kräfte auf sämtliche Komponenten ermitteln, um schon in frühen Stadien des Entwicklungsprozesses energieeffiziente und langlebige Mechanismen zu identifizieren.

Beispiel Mischen
Auch das Mischen ist ein wichtiger Prozess der mechanischen Verfahrenstechnik. Um Mischprozesse zu optimieren, muss der Mischprozess zielgerichtet beeinflusst werden können. Eine Herausforderung dabei ist, dass in fast allen Fällen ein Blick in die Mischanlagen während des Betriebes nicht oder nur sehr schwer möglich ist. Wenn aufgrund einer Prozessumstellung oder aufgrund der Verwendung von nachhaltigeren Stoffen die Randbedingungen der Anlage sich sehr stark ändern, können mithilfe der Simulation der Mischprozess realitätsnah abgebildet, der transiente Mischvorgang visualisiert und die Mischgüte quantifiziert werden.

Beim Mischen können Feststoffe, Flüssigkeiten, Gase oder eine Kombination dieser Aggregatzustände vorkommen. Bei der Simulation von Flüssigkeiten oder Gasen verwendet man die Strömungssimulation (Computational Fluid Dynamics – CFD) und bei Feststoffen die Partikelsimulation (Diskrete Element Methode – DEM), die bei Bedarf auch gekoppelt genutzt werden können. Im Beispiel (siehe Abb. 2 und 3) handelt es sich um einen Feststoffmischer, bei dem mehrere Komponenten gemischt werden sollen. Eine im Markt dazu bekannte technische Lösung ist der Pflugschar-Mischer von Lödige Abb. 4).

Mit der Simulation kann der Mischprozess von der Beladung bis zum Entleeren räumlich und zeitlich aufgelöst untersucht und bewertet werden. Dabei bietet sich nicht nur die Möglichkeit, in den gläsernen Mischer zu schauen (wie in der Bildstrecke in Abb. 2 zu sehen), sondern es kann auch die Mischgüte quantitativ ausgewertet werden (Abb. 3), um dadurch den Mischprozess zu optimieren und Blindleistung zu vermeiden.

Aus der einstigen „Black Box“ Mischprozess wird mithilfe der Simulation und einer quantitativen Auswertung ein transparenter, steuerbarer Vorgang. In einem neuen und innovativen Prozess kann damit das Verhalten verschiedenster Mischer bewertet und optimiert werden. Wesentliche Einflussparameter werden identifiziert und die Sensitivität der Einflussparameter auf Basis der Mischgüte ermittelt, sodass daraus eine Empfehlung optimaler Betriebsparameter gegeben werden kann.

Zusammenfassung
Die Partikelsimulation mit Rocky DEM und die CFD-Strömungssimulation mit Ansys Fluent, mit der die physikalischen Wechselwirkungen in Produktionsanlagen untersucht und optimiert werden können, entwickelt sich rasant. Schon heute können mit der DEM- und der CFD-Simulation fast alle Grundoperationen simuliert werden. Bisherige Entwicklungsprozesse sind in der Regel zu langsam und nutzen das vorhandene Innovationspotenzial kaum aus. Die Verwendung von Simulation ist ein notwendiger Schritt, um die Entwicklung von verfahrenstechnischen Prozessen zu beschleunigen, das Risiko von Produktionsausfällen zu minimieren und die damit verbundenen Kosten zu senken. Die anstehende Umstellung der Produktion in der Pharma- und Chemieindustrie erfordert innovative und nachhaltige Lösungen, die schnell und erfolgreich realisiert werden müssen. Es ist davon auszugehen, dass viele Unternehmen zukünftig verstärkt Simulationswerkzeuge einsetzen werden, um Anforderungen nach Energieeffizienz, Umweltverträglichkeit und Auflagen der EU entsprechen zu können.

* Autoren: Dr.-Ing. Jorge Ferreira, Leiter Produktbereich Rocky, und Dr.-Ing. Jan-Philipp Fürstenau, Engineering and Business Development Rocky DEM, beide Cadfem GmbH, Grafing b. München.