Wind of Change: Wie Bayer digital werden will
Digitalisierung und Nachhaltigkeit gehören bei Bayer zusammen. Was bei Bayer auf der digitalen Agenda steht, wie sich Produktionsprozesse durch die digitale Transformation ändern, und welche Rolle der Bereich Engineering and Technology bei der Umsetzung spielt. Das Interview mit Dr. Stefan Krämer, Head of Process Performance Improvement und Dr. Kai Wellner, Zweiter Betriebsleiter bei Bayer Crop Science in Dormagen, gibt einen Vorgeschmack auf den Vortrag auf dem Smart Process Manufacturing Kongress am 3. Mai im Vogel Convention Center in Würzburg.
Herr Krämer, Herr Wellner, seit wann steht das Thema Digitalisierung bei Bayer auf der Agenda und welche Schwerpunkte setzt Bayer?
Stefan Krämer: Digitalisierung ist bei Bayer schon sehr lange auf der Agenda. Bayer als Konzern legt die Schwerpunkte auf jeden Bereich, der durch Digitalisierung verbessert werden kann. Das beginnt im Office Bereich mit digitaler Kommunikation und digitaler Zusammenarbeit, hört aber im Bereich Produktion, Logistik, R&D und Engineering nicht auf. Die für uns sichtbarsten Bereiche sind die auf der Basis von moderner Datenanalyse und modernen Visualisierungsmethoden durchgeführten digitalen Leuchtturm-Projekte in der Produktion, die mehrere Kernziele verfolgen: Die Produktion transparenter und effizienter zu machen und einen „Digital Mindset“ zu schaffen. Interessant ist auch die Entwicklung abteilungsintern: Die Abteilung Engineering & Technology bringt nicht nur digitale Themen bei Bayer voran sondern hat auch das Ziel die internen Prozesse zu digitalisieren, z.B. langfristig durch eine Konsolidierung von digitalen Tools oder ein digitales integriertes Engineering.
Kai Wellner: Dabei verfolgen Bayers drei Divisionen Crop Science, Pharmaceuticals und Consumer Health in Teilen durchaus unterschiedliche Ansätze. Das liegt unter anderem an den verschiedenen Randbedingungen. Beispielsweise können digitale Lösungen in der pharmazeutischen Industrie härteren regulatorischen Anforderungen unterliegen. Auch das Thema Datenverfügbarkeit spielt eine große Rolle.
Produktionsprozesse smarter machen – Digitale Konzepte bei Bayer
Digitalisierung und Nachhaltigkeit gehören für Bayer zusammen und sind als übergeordnete Konzernziele ausgerufen. Trotz der großen Vision setzt der Konzern auf eine Strategie der kleinen Schritte. Wie geht ein Chemie- und Pharmaunternehmen dieses Vorhaben an? Wie definiert Bayer „Digital Pilots“? Wie zahlen klassische Methoden der Datenanalyse und Datenvisualisierung auf die Digitalisierung ein? Und welche Rolle spielt der Bereich Engineering and Technology bei der Umsetzung? Das erklären die Bayer-Experten Stefan Krämer und Kai Wellner in ihrem Vortrag auf dem Smart Process Manufacturing Kongress.
Bayer hat sich schon sehr früh auf das Thema Nachhaltigkeit fokussiert, jetzt ist die Digitalisierung dazu gekommen – Wie hängen Nachhaltigkeit und Digitalisierung bei Bayer zusammen?
Krämer: Nachhaltigkeit hat bei Bayer verschiedene Facetten: Auf der Seite des CO2-Ausstoßes sind es Themen wie: Effizientere Produktion durch Optimierung und dadurch Einsparen von CO2 und Energie. Entwicklung neuer Produktionsprozesse, die weniger CO2 ausstoßen oder auch der Verzicht auf bestimmte Herstellverfahren. Gleichzeitig engagiert Bayer sich aber breiter: Es geht um biologische Vielfallt, um grüne Chemie (Green Chemistry) um den Zugang zu Gesundheitsversorgung, um Ernährungssicherheit und Frauenförderung. Wir bringen Nachhaltigkeit auf alle Ebenen in Form von persönlichen Zielen. Jeder ist aufgerufen zur Nachhaltigkeit beizutragen. Die Digitalisierung unterstützt hier, in dem Daten sauber aufbereitet werden und somit Informationen zur Verfügung gestellt werden und das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen transparent gemacht wird. Zur Zeit macht meine Gruppe so etwas als Live Dashboards bei der Darstellung von Energieeffizienz in Produktionsbetrieben.
Welche Rolle spielt der Bereich Engineering and Technology bei der digitalen Transformation der Bayer AG?
Krämer: Unser Bereich, also der Bereich Process Design and Optimisation, der in der Abteilung Engineering & Technology angesiedelt ist, spielt die Rolle des Vermittlers zwischen den Welten. Im Bereich der Kerndigitalisierung sind IT-Spezialisten unterwegs, im Bereich der Data Science Mathematiker und Physiker. Bei uns sind Verfahrenstechniker und Chemieingenieure mit einer Affinität für digitale Themen im Einsatz. Gemeinsam bringen wir in gemeinsamen Projekten die richtige Digitalisierungsstrategie an die richtige Anlage.
Wellner: Das kann ein Dashboard sein, an ein verfahrenstechnisches oder datengetriebenes Modell und an oder auch eine auf Machine Learning gefußte Prädiktion. Alles hat seine Berechtigung, wenn es richtig eingesetzt wird. Der Bereich Engineering & Technology spielt dabei die übergeordnete Rolle, das Verständnis für den Produktionsprozess und das Produkt, die Technik, also Engineering, Projektmanagement, Prozessleittechnik, Safety und Prozess- und Technologieentwicklung aufrechtzuerhalten und die Digitalisierung in diesen Bereichen mit zu gestalten. Die Strategie für die Digitalisierung kommt dabei aus den Divisionen selbst. Wir als Zentralfunktion unterstützen dann dabei, diese Strategie mit dem richtigen Know-How in die Tat umzusetzen.
Wie zahlen die dort versammelten Kompetenzen auf die Unterstützung und Durchführung entsprechender Projekte ein?
Wellner: Digitalisierung muss einen Zweck haben. Sie ist kein Selbstzweck. Somit ist es für uns im Bereich Engineering und Technology immer wichtig, dass wir den Konzern in den technologischen Fachthemen adäquat unterstützen können, was wir aus meiner Sicht können und tun. Besonders stark sind wir hier im Bereich Engineering, Projektmanagement, Prozessentwicklung, Prozessoptimierung und Anlagensicherheit.
Krämer: Viele Kollegen aus der E&T interessieren sich aber auch für die Digitalisierung und wir finden in jedem Bereich der E&T Kolleginnen und Kollegen, die entweder die Aufgabe oder das Interesse haben, die Einführung von digitalen Methoden zu prüfen und in die Arbeit einzubeziehen. Die Kombination aus klassischem Fachwissen und Interesse an Digitalisierung sowie die Durchführung und Unterstützung von Digitalisierungsprojekten bei unseren divisionalen Partnern führt zum Erfolg.
Digitalisierung ist kein Selbstzweck: Welches digitale Zielbild verfolgt Bayer im Produktionsumfeld und wie identifiziert Bayer vielversprechende Business Cases?
Krämer: Wir haben dafür zwei Prozesse: Auf der Ebene des Standortes machen wir ein Readiness Assessment, mit dem wir sehr gut darstellen können, auf welcher Ebene der Digitalisierung ein Standort steht. Werden Ventile noch per Hand verstellt oder gibt eine KI-basierte Online Optimierung der Produktion oder – typischerweise – etwas dazwischen. Dieses Assessment wird von mehreren Workshops begleitet, in denen auch definiert wird, wie viel Digitalisierung notwendig und sinnvoll ist und welchen Nutzen sie bringt. Manchmal ist der Nutzen sehr groß, manchmal ist aber auch ein Zwischenschritt ohne Nutzen nötig, um im nächsten Schritt großen Nutzen zu erreichen, wie z.B. beim Aufbau einer Datensammlungsinfrastruktur.
Wellner: Im zweiten Prozess machen wir auf Anlagenebene eine problembezogene Improvement Analysis, in der wir mit dem Betrieb den Nutzen von digitalen Projekten und Methoden analysieren und gewinnbringende Vorschläge machen und gemeinsam implementieren. Kürzlich haben wir ein solches Projekt erfolgreich in unserer Division CropScience durchgeführt.
Digital Pilots sind das eine, aber wie tragen Sie die Aktivitäten in die Fläche?
Krämer: Wir haben einen mehrstufigen Prozess definiert, in dem wir Ideen entwickeln, diese ausprobieren, ihren Wert definieren und diese bei Bedarf verallgemeinern und industrialisieren. Die ersten beiden Stufen sind Piloten, die letzten beiden Stufen tragen die Piloten als Use Cases, die entsprechend definiert werden, in die Fläche. In den ersten Stufen sind wir federführend Bayer-intern unterwegs oder mit dedizierten Partnern, in die Fläche gehen wir hin und wieder mit internen Ressourcen, nutzen typischerweise jedoch die Unterstützung von großen IT-Dienstleistern.
Wellner: Auf technischer Seite ist als Basis dieser Aktivitäten außerdem ein möglichst einheitliches Konzept zur Daten-Integration notwendig, d.h. Anbindung verschiedener Datenquellen und Methoden zur skalierbaren Verknüpfung und Verarbeitung von Daten. Die Aufwände, die sich hier verbergen, werden typischerweise unterschätzt und stellen deshalb einen wichtigen Faktor bei dem Thema Skalierung dar.
Was lernen Sie aus den Projekten und welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Implementierung weiterer Projekte?
Wellner: Unter anderem haben wir gelernt, dass die Digitalisierung ein Hilfsmittel für den Menschen ist, monotone Tätigkeiten zu vermeiden und Transparenz für Entscheidungen zu schaffen. Wir werden effizienter, weil die Fakten schneller und interpretierbarer auf dem Tisch liegen und einfache Entscheidungen von der Maschine getroffen werden können. Wir glauben, sobald es komplexer als eine Prozessregelung wird, zur Zeit noch sehr stark an den Human in the Loop Ansatz, d.h. die Maschine kann bei komplexen Entscheidungen die Fakten liefern und einen Weg vorschlagen, dieser sollte aber für den Menschen plausibel sein.
Krämer: Um so gut mit Maschinen zu interagieren, benötigen wir einen Digital Mindset und eine Offenheit, die viel Change Management benötigt, um aus möglicherweise vorhandener Angst oder Trägheit ein Interesse am Neuen und ein Nutzung der Chancen zu entwickeln. Die Technologie ist vorhanden und zum Teil auch komplex einzusetzen, die Menschen sind oft noch komplizierter, aber auch kreativer und mit mehr Ressourcen ausgestattet. Somit ist Change Management und der sinnvolle und sinnstiftende Einsatz von Menschen eine Kernherausforderung bei solchen Projekten und nur bei Erfolg in diesem Bereich hat eine solche Strategie einen nachhaltigen Nutzen.
Wie schaffen Sie die entsprechende Kultur im Konzern und in den Bereichen?
Krämer: Wir sprechen über Digitalisierung und stellen die Chancen in den Vordergrund. Außerdem lernen wir aus unseren Fehlern. Wir denken problemorientiert und probieren gleichzeitig auch mal einfach nur etwas aus. Wir haben Digitalisierung als Unternehmensziel verankert. Eine Kultur entwickelt sich nicht über Nacht, sie entsteht aus sinnstiftendem Nutzen von Technologie und daraus, die Menschen, so wie sie sind, mitzunehmen.