Arzneimittel aus dem 3D-Drucker Hersteller unter Druck – Wie der 3D-Drucker die Tablettenherstellung verändert

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Autor/
Redakteur:
Jamie Clayton
/ Anke Geipel-Kern

Erste Tabletten aus dem 3D-Drucker sind bereits auf dem Markt. Die neue Technik ermöglicht Medikamente, die trotz hoher Wirkstoffbeladung schnell zerfallen und deshalb besonders für Patienten mit Schluckbeschwerden geeignet sind. Doch das ist erst der Anfang, meint unser Autor Jamie Clayton von Freeman Technology. Der 3D-Druck könnte den Trend zur personalisierten Medizin weiter befeuern. Stehen bald in Apotheken und Krankenhäusern 3D-Drucker, die Tabletten auf persönliches Rezept ausdrucken?

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Autor Jamie Clayton ist Operations Director bei Freeman Technology (eine Micromeritics Company).

(Bild: Freeman)

Bereits im August 2015 genehmigte die Food and Drug Administration (FDA) das erste im 3D-Drucker erzeugte Medikament – eine hochporöse Tablette mit hoher Wirkstoffbeladung, die sich bei Kontakt mit geringen Wassermengen schnell auflöst. Für Patienten mit Schluckbeschwerden eine große Erleichterung.

Doch die Branche glaubt, dass die neue Technik noch weitaus größere Potenziale hat. Langfristig erhoffen sich die Entwickler einen weiteren Schub für die personalisierte Medizin und die lokale Herstellung individueller Präparate.

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Die Flexibilität, sowohl Größe als auch das Wirkstofffreisetzungsprofil und die Form oraler fester Darreichungsformen an die Erfordernisse anzupassen, ist ein großer Vorteil. Bei weitem jedoch nicht der einzige. Auch die Herstellungskosten könnten durch den 3D-Druck sinken. Sobald ein Drucker installiert ist, brauchen bei der Herstellung eines neuen Arzneimittels lediglich Rohmaterialien gewechselt und das erforderliche Betriebsprotokolls für den Zufuhr- und Druckvorgang ausgewählt werden.

Potential und Vision des 3D-Drucks

Doch es gibt noch mehr Visionen für die pharmazeutische Herstellung, die durch den 3D-Druck Wirklichkeit werden könnten: Apotheker könnten von der Abgabe einheitlicher, vorgefertigter Produkte zum „Drucken“ von Arzneimitteln übergehen, um Faktoren wie Genetik, Alter, Geschlecht, biochemisches Verhalten und Krankheitsprofile zu berücksichtigen. Eine solche Veränderung würde große regulatorische Herausforderungen mit sich bringen, bietet jedoch gleichzeitig erhebliche Möglichkeiten.

Beispielsweise können Therapieregimes kostengünstig auf immer kleinere Bevölkerungsgruppen zugeschnitten werden, um etwa in der Pädiatrie und / oder Geriatrie wirksamer zu behandeln und seltene Krankheiten besser zu bekämpfen. Personalisierte Medizin ist der ultimative Endpunkt eines solchen Prozesses und könnte die klinischen Ergebnisse selbst bei bestehenden Medikamenten erheblich verbessern.

Der Druck auf Abruf bzw. Rezept würde den Bedarf an Produkten mit längerer Haltbarkeit verringern und Möglichkeiten bieten, die sogenannte Compliance oder Therapietreue der Patienten zu verbessern, die „Pillenlast“ zu reduzieren, indem sogenannte Polypillen hergestellt werden, Darreichungsformen, die mehrere Wirkstoffe enthalten und auf die individuellen Anforderungen des Patienten abgestimmt sind.

Für Industrieländer bietet der 3D-Druck das Potenzial einer hocheffizienten, flexiblen, dynamischen Plattform für die inländische Produktion, um das Risiko geopolitischer Risiken und Störungen der Lieferkette zu verringern, während er für abgelegene, schlecht angebundene Orte einen relativ kostengünstigen Zugang zu qualitativ hochwertigen, gut und sicher hergestellten Arzneimitteln wäre.

Wie nahe sind diese Visionen?

Auf regulatorischer Ebene befasst sich das FDA-Zentrum für Arzneimittelevaluierung und -forschung (CDER) aktiv mit den Fragen, die sich aus der Verwendung des 3D-Drucks für Arzneimittel ergeben, da Fortschritte in diesem Bereich von entscheidender Bedeutung sind. Ein Schwerpunkt liegt auf den Materialeigenschaften, die Hilfsstoffe brauchen, um für den 3D-Druck eingesetzt werden zu können. Wie muss die Formulierung beschaffen sein, damit am Ende die Qualität und die Performance des Arzneimittels den gewünschten Parametern entsprechen.

Charakterisierung der Formulierung: der Fokus liegt auf der Fließfähigkeit

Bei der Charakterisierung von pharmazeutischen Formulierungen für den 3D-Druck werden sowohl Erfahrungen aus herkömmlichen Tablettierungsverfahren genutzt, als auch Erkenntnisse aus anderen Industriezweigen, die den 3D-Druck bereits anwenden. Da der Pulvereinsatz in allen Fällen gleich ist, gilt dies insbesondere bei der Auswahl der Methoden zur Pulverprüfung. Dabei spielt die Bewertung der Pulverfließfähigkeit, einer Eigenschaft, die im herkömmlichen und neuen Verfahren von entscheidender Bedeutung ist, ein wichtige Rolle.

Bei dem herkömmlichen Verfahren, Tabletten durch direkte Komprimierung herzustellen, werden die Rohmaterialien aus Zuführtrichtern mit einer gleichmäßigen, genau kontrollierten Strömungsrate den verschiedenen Mischstufen zugeführt, dann granuliert oder direkt gepresst.

Dabei werden sie im Trichter unter ihrem eigenen Gewicht komprimiert, was zu einer mäßigen Belastung am Auslass führt. Die Granulierung einer Tablettiermischung ist äußerst verbreitet, um eine Entmischung zu verhindern und die Fließeigenschaften zu verbessern. Fließadditive werden routinemäßig eingearbeitet, um die Fließfähigkeit während des gesamten Prozesses zu optimieren.

Dabei fließt die Pulvermischung oder das Granulat in einem relativ locker gepackten, spannungsarmen Zustand aus dem Zuführrahmen und wird in die Matrizen gestrichen, damit diese korrekt gefüllt sind. Ganz gleich ob direkte Pressung der Mischung oder über den Zwischenschritt der Granulierung, in allen Fällen ist ein kontrollierter Pulverfluss für eine hohe Qualität unerlässlich. Dieser wird durch Pulverprüfungen sichergestellt.

Während der Scherzellentest speziell dafür entwickelt wurde, Pulvereigenschaften für das jeweilige Trichterdesign zu bestimmen und um ein Spezifikation dafür definieren zu können, dienen dynamische Pulverprüfungen mehr der Vorhersage des Fließverhalten für die weiteren Schritte des herkömmlichen Prozesses der Tablettierung.

Dabei beschreibt die Basisströmungsenergie (BFE, Basic Flowability Energy) die Leistung des Zuführrahmens, während die Belüftungsenergie (AE, Aerated Energy) Aussagen darüber zulässt, wie sich die Fließfähigkeit mit dem Anteil bzw. der zugeführten Luft verändert.

Scher- und Bulkeigenschaften wie Permeabilität und Kompressibilität kennzeichnen, ob und wie schnell die vom Pulver mitgeführte Luft freigesetzt werden kann und wie gut sich das Pulver kompaktieren lässt.

Kontrolliertes Fließen ist für den 3D-Druck noch wichtiger

Die Zufuhr von Rohmaterialien aus einem Aufgabetrichter ist beim 3D-Druckprozess dem herkömmlichen Prozess sehr ähnlich, sodass die Scherdaten relevant bleiben. Das Pulver geht dann jedoch in eine spannungsarme Umgebung mit hoher Fließfähigkeit über. Bedingungen, die für die sequentielle Abscheidung von Pulverschichten wesentlich sind, denn die effiziente Verarbeitung und Qualität beim 3D-Druck ist durch die Fähigkeit des Pulvers bestimmt, gleichmäßige Schichten definierter Dicke zu bilden. Diese Performance hängt von den dynamischen Fließeigenschaften ab, weshalb diesen Parameter ein entscheidender Aspekt zukommt. Die Bestimmung der Schüttdichte kann zur Rationalisierung des Packverhaltens hilfreich sein.

Zusätzliche Schlüsselparameter

Die Partikelgröße und -verteilung beeinflussen die Fließfähigkeit und das Packverhalten von Pulvern ebenso wie die Partikelform. Regelmäßig geformte Partikel werden für den 3D-Druck aufgrund ihrer verbesserten Fließfähigkeit und Packeffizienz bevorzugt. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass diese Parameter alleine nicht ausreichen, um Pulvern zu identifizieren, die eine akzeptable Printer-Leistung erbringen.

Das FT4 Pulverrheometer bietet einen multivarianten Ansatz um mehrere Parameter in einem System zu bestimmen, deren Korrelation mit dem Prozess zu überprüfen und somit ein Set an Prozess relevanten Parametern festzulegen.

(Bild: Freeman)

Weitere wichtige Parameter sind Bulkeigenschaften wie Fließdynamik (Stabilitätsindex und Fließgeschwindigkeitsindex), Scherung (Kohäsion und Wandreibungswinkel) und Masseeigenschaften (Permeabilität und Kompressibilität), die für jedes neue Pulver mit einem FT4-Pulverrheometer gemessen werden können und zuverlässige Aussagen liefern.

Wiederverwendung von “Druckmaterial”

Ein neuer und entscheidender Aspekt beim 3D-Druck ist, dass nur ein Teil des Pulvers in einer bestimmten Schicht im Endprodukt genutzt wird. Pulverrecycling ist daher für eine nachhaltige Herstellung unerlässlich. Wie sich dieses recycelte Material bei der Verwendung auf die Stabilität von 3D-Formulierungen auswirkt, ist ein wichtiges Thema.

Es gilt, Parameter, die das Verhalten von frischem Material gegenüber Recyclingmaterial beschreiben, zu definieren und zu verstehen, wobei sich die die Eigenschaften des Materials möglicherweise durch den Druckprozess verändert haben können. Dynamische Testprotokolle zur Aufzeichnung der Stabilität können in dieser Hinsicht äußerst nützlich sein.

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Studien zu 3D Druck-Tabletten

Vision und Wirklichkeit

Im August 2015 genehmigte die Food and Drug Administration (FDA) „SPRITAM®“, als erstes 3D-gedrucktes Medikament, zur Behandlung von epileptischen Anfällen bei Erwachsenen und Kindern [1]. Die Zulassung von „SPRITAM®“ war zweifellos ein wichtiger Meilenstein, und die Zipdose-Technologie, auf der diese Arzneiform basiert, wird jetzt mehr und mehr für die schnelle Freigabe großer Wirkstoffmengen und / oder mehrerer Wirkstoffe beworben. Die Dosen können das Zwei- bis Dreifache der herkömmlichen ODT-Technologie (Oral Disintegrating Tablet) betragen, die Freisetzungszeiten sind im Allgemeinen kürzer und die Technologie bietet eine beträchtliche Vielseitigkeit bei der Geschmacksmaskierung. [2]

„FabRx“, ein Spin-off-Unternehmen des University College London, hat Anfang 2019 eine Auszeichnung für die Entwicklung des weltweit ersten 3D-Druckers für personalisierte Medizin erhalten [3]. Ziel ist es, einen Drucker zu entwickeln, der „sicher und zweckmäßig“ ist, um in einer Krankenhausapotheke gedruckte Tabletten („Printlets“) herzustellen. Patientenverhalten bezüglich 3D-gedruckten Tabletten wird derzeit im Alder Hey-Krankenhaus (Liverpool, Großbritannien) untersucht. Innerhalb von zwei Jahren plant das Team den Wechsel von Placebo-Tests zu Wirkstoffen beladenen Produkten. Der Fokus liegt dabei auf Hydrocortison, das derzeit nur in schlecht genau kontrollierten Mengen verabreicht werden kann, da Pillen geteilt werden müssen, um Kindern eine gewichtsabhängige Dosis verabreichen zu können. [4].

References:

[1] ‘FDA approves the first 3D printed drug product’ News item, August 2015. Available to view at: https://www.aprecia.com/news/fda-approves-the-first-3d-printed-drug-product

[2] D. Wetherhold et al. ‘Redefining fast melt for pharma: Achieving high drug load with rapid dispersion using 3D printing’ Aprecia white paper. Available to download at: https://www.aprecia.com/whitepaper/redefining-fast-melt-for-pharma

[3] ‘FabRx Awarded Innovate UK Grant to Design the World’s First Personalised Medicine 3D Printer’ News item, Feb 2019. Available to view at: https://www.fabrx.co.uk/2019/02/08/fabrx-awarded-innovate-uk-grant-to-design-the-worlds-first-personalised-medicine-3d-printer/

[4] H. Cave ‘3D printing could give you a better pill to swallow’ Jan 2019 Mosaic. Available to view at: https://mosaicscience.com/story/3d-printing-better-pills-tablets-children-medicine-drugs-trials/

Der 3-D Druck von Arzneimitteln birgt großes Zukunftspotential aber auch technologische Herausforderungen

Erfahrungen aus andern Branchen, in denen pulverbasierte 3D-Drucktechnologien bereits eingesetzt werden zeigen, dass diese Verfahren Formulierungen mit beispielhafter Fließfähigkeit erfordern. Die Messung dynamischer Pulvereigenschaften hat sich dabei als kritisches Merkmal für die Unterscheidung von erfolgreich zu druckendem bzw. schlecht zu druckenden Pulver erwiesen.

Die Anwendung effektiver Teststrategien für Pulver und pharmazeutische Formulierungen für den Druck robust zu charakterisieren und das volle Potenzial dieser interessanten Technologie auszuschöpfen, ist unerlässlich.

* Der Autor ist Operations Director bei Freeman Technology (eine Micromeritics Company)

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