Investitionen in der Chemie- und Pharmaindustrie
Kostenfalle Großinvestitionen – die häufigsten Fehler und wie sie diese vermeiden



Ein Gastbeitrag von

Yurda Burghardt, Partnerin der Negotiation Advisory Group (NAG)

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Während die Unternehmen beim Einkauf von Rohstoffen und Vorprodukten geübt darin sind, genau auf den Preis zu schauen, sind sie bei komplexen Großinvestitionen häufig überfordert. Die Folge: Die Kosten laufen ihnen davon. Was Unternehmen dagegen tun können.

Großanlage in der Chemie: Werker beim gesicherten Aufstieg

Der Bau von Fabrikhallen und Produktionsanlagen gehört in der Regel zu den größten Ausgabepositionen eines Unternehmens in einem Geschäftsjahr. Das gilt insbesondere für die Chemie- und Pharmaindustrie mit ihrem hohen Investitionsbedarf. Die Unternehmen dieser Branche geben viel Geld aus für den Erwerb, die Modernisierung oder den Neubau von Sachanlagen wie Maschinen, Fabrikhallen und Grundstücken, für den Bau von Forschungs- und Entwicklungslaboren, um neue Medikamente, Formulierungen und Technologien zu entwickeln, oder auch für Übernahmen, um ihr Produktportfolio zu erweitern, neue Technologien zu erwerben oder Zugang zu neuen Märkten zu finden.

Chemie: hohe Kapitalintensität, hohe Investitionen

Die Chemie- und Pharmaindustrie als drittgrößte Industriesparte Deutschlands zeichnet sich, verglichen mit anderen Branchen, deshalb durch eine hohe Kapitalintensität aus. Um kostengünstig, effizient und international wettbewerbsfähig zu sein, ist die Produktion stark technologisiert und hoch automatisiert. Anlagen laufen häufig im 24-Stunden-Betrieb sieben Tage die Woche, zu ihrer Bedienung sind meist nur wenige Arbeitskräfte erforderlich. Und wenn so eine Anlage installiert ist, dann meist für lange Zeit: Viele haben eine hohe Lebensdauer, teilweise von mehreren Jahrzehnten.

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Insofern handelt es sich bei den Großinvestitionen dieser Branche um sehr komplexe Vorgänge mit hohem Kostenrisiko. Schon allein aufgrund ihrer Dimension und dem damit verbundenen Kostenrisiko sind sie ein Thema für den Vorstand und insbesondere für den CFO, der für ein kontinuierliches Monitoring des gesamten Projektes sorgen muss. Falsche Entscheidungen unter Termindruck, mangelhafter Vergleich zwischen Angeboten, fehlende Anreize für den Auftragnehmer, zu schnelles Nachgeben bei Mehrpreisforderungen, Fehler im Umgang mit einem Generalunternehmer – bei Investitionsvorhaben in der Größenordnung von zwei- bis dreistelligen Millionenbeträgen kommen durch falsche Entscheidungen leicht erhebliche Mehrkosten zustande, die den Etat sprengen und das Unternehmen in eine existenzielle Notlage bringen können.

Entscheidend: Vorbereitung der Verhandlung

Wichtig ist deshalb die sorgfältige Vorbereitung des Vergabeprozesses, um Angebote richtig bewerten zu können, Anreize für Kosteneffizienz zu setzen und klar definierte Meilensteine zu vereinbaren. Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Verhandlung ist nach unserer Erfahrung nicht die Verhandlungsführung selbst, sondern ihre systematische Vorbereitung. Bereits in dieser frühen Phase gilt es auch schon, das Thema Nachforderungsmanagement und Claims zu beachten.

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Ein Beispiel aus unserer Beratungspraxis: Ein großer deutscher Pharmahersteller benötigt für eine neue Produktionslinie eine Reinraumanlage. Die Investition hat eine Größenordnung von einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Bei der Ausschreibung, dem Request for Quotation (RfQ), ist darauf zu achten, dass nicht unverbindliche Preisindikationen abgefragt werden, sondern das Angebot auf einem verbindlichen Preis-Commitment beruht. Denn bis zur Auftragsvergabe bei einem so großen Projekt können schnell einige Wochen oder Monate vergehen. Dann wäre es ärgerlich, wenn die Preise für einzelne Komponenten zu dem Zeitpunkt aufgrund höherer Inflation schon überholt sind und die Kalkulation nicht mehr stimmt.

Angebote monetär vergleichbar machen

Erfolgskritisch für die Ausschreibung ist, dass der RfQ so formuliert wird, dass die Lieferanten technisch vergleichbare Konzepte anbieten, um sie entsprechend bewerten zu können. Bestehen qualitative Unterschiede zwischen den Konzepten, müssen diese monetär vergleichbar gemacht werden. Letzteres geschieht durch eine Bonus/Malus-Bewertung der qualitativen Unterschiede. Diese Bewertung erfolgt auf Grundlage der Präferenzen des Unternehmens.

In diesem Fall war dem Unternehmen beispielsweise das Kriterium wichtig, dass ein Serviceteam bei Problemen schnell zur Verfügung steht. Anbieter mit einer schnellen Lösung konnten sich dadurch einen Bonus verschaffen. Analog werden auch die Vertragsprämissen, also beispielsweise Lieferbedingungen, Zahlungsmodalitäten oder sonstige Spezifikationen, durch ein Bonus/Malus-Bewertung vergleichbar gemacht.

Kostenrisiko Nachtragsmanagement

Auch das Thema Nachtragsmanagement sollte so detailliert wie möglich schon im Lastenheft behandelt werden, um keine unnötigen Preisrisiken einzugehen. Dies ist insbesondere dann ein Thema, wenn, wie im Fall der Reinraumanlage, die Auftragsvergabe an einen Generalunternehmer (GU) erfolgen soll. Denn um erst einmal den Auftrag zu bekommen, kalkulieren Generalunternehmer den Preis meist sehr knapp. Ihren Gewinn erzielen sie dann im Nachtragsmanagement. Denn bei solchen komplexen Großprojekten kommt es immer wieder vor, dass Details im Verlauf des Projekts geändert werden müssen. Und hier schlagen die GU gerne zu, wenn dies nicht geregelt ist.

Buchtipp

Das Fachbuch „Planung im Anlagenbau“ vermittelt technisches und betriebswirtschaftliches Knowhow für eine erfolgreiche Anlagenplanung. So zeigt das Buch auf, wie kostendeckende Maßnahmen miteinander koordiniert werden können, damit die geplante Anlage einwandfrei auf dem aktuellen Stand der Technik funktioniert und lukrativ arbeitet.

Ist nämlich der Auftrag vergeben, haben die Unternehmen kaum mehr Verhandlungsmacht gegenüber dem GU. Dieser ist dann in der Position eines Quasimonopolisten und kann seine Stellung zu Mehrpreisforderungen nutzen. Solche Änderungen werden dann richtig teuer, wenn solche Optionen zuvor nicht ausreichend in einem Change-Management-Katalog erfasst und bepreist sind. Solche Zusatzkosten können sich schnell zu Summen addieren, die das vereinbarte Budget sprengen.

Die Präferenzen der Fachabteilungen hinterfragen

Zur Vorbereitung gehört es auch, die Präferenzen der einzelnen internen Stakeholder transparent zu machen und zu hinterfragen. Oft haben Fachabteilungen unabhängig vom Preis eine Vorliebe, an wen das Unternehmen den Auftrag vergeben soll und mit dem sie zusammenarbeiten wollen. In unserem Fall hatten sich insgesamt vier Anbieter im Zuge des RfQ herauskristallisiert. In dem Unternehmen machte sich nun die Fachabteilung für zwei Anbieter stark: Angeblich könnten diese besonders schnell vor Ort sein, sie wären die einzigen, die im Falle des Falles rechtzeitig helfen könnten.

So verständlich der Wunsch der Fachabteilung ist, so fatal wäre es, diese Präferenz einfach hinzunehmen und den beiden anderen Wettbewerbern einen derartigen Malus zu verpassen, dass sie aus dem Bieterwettbewerb um den Großauftrag fliegen. Das würde das Preissenkungspotenzial, das durch den Wettbewerb der vier Anbieter um den Auftrag erreichbar ist, vorschnell beschränken. Wir haben deshalb diese Prämisse – die erforderliche Serviceschnelligkeit bei Problemen – als verbindlich für den Auftrag erklärt.

Im Ergebnis hat dann genau einer der beiden von der Fachabteilung präferierten Lieferanten diese Prämisse abgelehnt und den Malus in der Vergabe bekommen, während die beiden anderen, von der Fachabteilung zuvor diskreditierten Wettbewerber die Prämisse akzeptierten. Dadurch gelang es, den Wettbewerb um die Projektvergabe auf einem intensiven Niveau zu halten. Das zeigt, wie wichtig es ist, die Präferenzen der Stakeholder zu hinterfragen. Nur dann lässt sich der Wettbewerb zwischen den Anbietern optimal nutzen.

Verhandlungsdesign mit zwei Stufen

Das Verhandlungsdesign musste an die spezifische Situation angepasst werden. Da das Reinraum-Projekt sehr komplex war, wählten wir einen einfachen, zweistufigen spieltheoretisch optimierten Vergabeprozess. Da zudem reine Auktionen beim Anlagenbau unüblich sind, war es nötig, die Anbieter an eine Auktion heranzuführen. Die übrig gebliebenen drei Anbieter also mit einer Auktion schon im ersten Vergabeschritt zu konfrontieren, hätte den einen oder anderen abschrecken können. Aber nur wenn alle Lieferanten an ihre Chance glauben, gewinnen zu können, entsteht der erforderliche Wettbewerbsdruck.

In der ersten Verhandlungsstufe wurden die Lieferanten deshalb durch bestimmte Anreizmechanismen erfolgreich zu einer ersten Preissenkung animiert. Danach folgte eine spezielle Auktion, durch die der Preis weiter reduziert werden konnte. Insgesamt ergab sich durch das gewählte Verhandlungsdesign eine Preisreduzierung gegenüber dem Anfangsgebot des besten Anbieters um 15 Prozent. Angesichts der Investitionssumme ein beachtlicher Betrag.

Berechtigte Claims verhandeln

Mit dem Verhandlungsprozess endet zwar der Vergabeprozess. Doch beim Bau der Anlage kann es auch zu Ansprüchen gegenüber dem Generalunternehmer kommen, etwa wenn aufgrund technischer Änderungen weniger Material verbaut werden muss und weniger Manntage-Aufwand anfällt als ursprünglich vereinbart. Aus eigenem Antrieb wird der GU dies dem Unternehmen nicht vergüten wollen. Vielmehr muss der Auftraggeber diesen Claim bei dem Generalunternehmer einfordern – was ein Großteil der Unternehmen vernachlässigt, weil es an einer verantwortlichen Stelle dafür im Unternehmen fehlt.

Denn die meisten am Anlagebau verantwortlichen Personen haben aufgrund ihrer Funktion selbst keine Motivation, solche Claims zu erfassen und dem Unternehmen zu melden. Der Architekt kümmert sich um die technische Realisierung des Baus. Der Bauleiter sorgt sich um den Zeitplan – verständlich angesichts von Personalmangel und Rohstoff-Lieferproblemen. Der Projektleiter ist ebenfalls auf den Zeitplan fokussiert und kümmert sich um Qualität und Einhaltung des Budgets. Und der Einkauf, dessen Aufgabe das Erfassen der Claims wäre, sieht diese nicht, weil ihm die technische Kompetenz fehlt und er nicht vor Ort auf der Baustelle ist. Deshalb ist es wichtig, dass die Unternehmen jemanden an der Schnittstelle zwischen Baustelle, Fachabteilung und Einkauf installieren, der technische Änderungen erfasst und dem Einkauf übermittelt.

Großprojekte klug managen

Großinvestitionen gehören nicht nur aufgrund ihrer technischen und rechtlichen Komplexität sowie ihrer finanziellen Dimension zu den kompliziertesten Projekten überhaupt. Sie unterliegen meist auch einem anspruchsvollen Zeitplan, beteiligt ist zudem eine Vielzahl externer und interner Stakeholder, die alle eigene Präferenzen haben und eine eigene Agenda verfolgen. Diese gilt es im Interesse einer optimalen Lösung transparent zu machen und in Frage zu stellen. Und mit der erfolgreichen Vergabe endet das Projekt nicht. Denn nach Vertragsabschluss gilt es, mögliche Kostenexplosionen zu vermeiden und Einsparpotenziale zu realisieren. Beides, unberechtigte Mehrpreisforderungen abzuwehren und berechtigte Claims gegenüber den Lieferanten einzufordern, ist wichtiger Bestandteil des Managements solcher Großprojekte.

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Dieser Beitrag Kostenfalle Großinvestitionen – die häufigsten Fehler und wie sie… stammt aus folgender Quelle www.process.vogel.de und wurde am 2023-03-27 16:32:27 veröffentlicht.

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