„Operational Excellence“ in der Arzneimittel-Produktion In-process control: Funkbasierter Echtzeit-Temperatursensor

Das Ziel der „Operational Excellence“ (OPEX) – Kernprozesse kontinuierlich zu optimieren – ist auch in der Arzneimittel-Produktion nur mit erhöhter Produktionseffizienz realisierbar. Das erfordert in aller Regel eine mit Echtzeitdaten verfeinerte Prozessautomatisierung. Hermes Pharma setzt zur Echtzeit-Temperaturüberwachung bei Pulver-Granulatoren auf das PAT-Tool „Tempris“.

Während die Digitalisierung in der Prozessindustrie mit großen Schritten vorangeht (Industrie 4.0), bleibt Pharma 4.0 erkennbar zurück. Das hat einen einleuchtenden Grund: Es reicht nicht aus, adaptierte Industrie 4.0-Lösungen umzusetzen. Stets gilt es, Prozesssicherheit gemäß den einschlägigen Regularien separat nachzuweisen.

Dazu hat sich die Branche mit der ISPE (International Society for Pharmaceutical Engineering) ein zentrales Wissenschaftsforum geschaffen: ISPE erarbeitet weltweit mit der Pharma-Industrie und den Behörden Richtlinien und entwickelt diese weiter.

Die Betonung liegt aus Sicht des Apparate- und Anlagenbaus in der Tat auf „Weiterentwicklung“, muss doch die pharmazeutische Industrie aufgrund des globalen Wettbewerbsdrucks ihre Produktionseffizienz immer weiter optimieren. Hinzu kommen neue Anforderungen und Erwartungen – beispielsweise hinsichtlich individueller Produkte (personalisierte Arzneimittel) bei gleichzeitig kürzeren Produktlebenszyklen. Das ist nicht trivial: Denn bei Eingriffen in die Produktion werden Veränderungen an Maschinen, Prozessen und letztlich am Produkt vorgenommen. Die dann erforderliche neue Qualifizierung gemäß GMP führt dazu, dass produzierende Unternehmen bei der Implementierung neuer Technologien oft eher zurückhaltend sind…

Was die Digitalisierung dennoch vorantreibt, das sind die vielfältigen Nutzenvorteile für die produzierende pharmazeutische Industrie: Pharma-4.0-Systeme bieten in Echtzeit wertvolle Informationen zur Gewinnung und Auswertung von Prozess- und Produktdaten, die zur Optimierung der Produktion genutzt werden können. Hinzu kommen als weitere Benefits eine schnellere Markteinführung, eine höhere Ausbeute und eine größere Flexibilität.

Prozesssteuerung: Über die Bedeutung von Sensoren

„Was man nicht messen kann, kann man nicht lenken“ – dieses Zitat des Management-Vordenkers Peter F. Drucker beschreibt die Bedeutung von Sensoren zur Prozesssteuerung perfekt: Sensoren sind unverzichtbar für eine smarte Steuerung der Produktion. Kaum ein industrieller Bereich, in dem Sensoren und Messtechniken nicht elektronisch prüfen, überwachen oder automatisieren. Die Anforderungen an deren Robustheit, Genauigkeit, Verfügbarkeit und Standzeit sind dementsprechend hoch.

Das kommuniziert die Namur (Interessengemeinschaft Automatisierungstechnik der Prozessindustrie) auch in der aktuellen Technologie-Roadmap „Prozess-Sensoren 2027+“: Sie fasst die Technologie- und Marktsicht von Anwendern, Herstellern und Forschungseinrichtungen im Bereich Prozess-Sensorik in der verfahrenstechnischen Industrie zusammen. Eine zentrale Aussage ist, dass Sensorik bedeutend zur Ressourcen- und Energieeffizienz beitragen könne. Auch das ist zu erwarten: Durch Verdichtung mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) können weitere Informationen über die des Prozess-Sensors hinaus, auch zum Prozess selbst und zu Anlagenkomponenten gewonnen werden.

Tempris: Ohne Kabel, ohne Batterie

Eine besondere Stellung nehmen Temperatursensoren ein: In nahezu allen Industrieprozessen und weiten Bereichen der naturwissenschaftlichen und technischen Forschung hängt eine hohe Qualität und Reproduzierbarkeit der Ergebnisse von der genauen Kenntnis der Temperatur und gegebenenfalls von deren Regelung und Stabilisierung ab.

Konventionelle Temperatursensoren basieren zumeist auf Bauelementen, die als Maß für die Temperatur ein elektrisches Signal liefern. Ganz anders funktionieren Temperaturfühler mit einem Schwingquarz als Messelement: Die Resonanzfrequenz des schwingenden Quarzes verändert sich abhängig von der Temperatur und kann sehr präzise gemessen werden – per Funk, ohne Kabelverbindung und ohne Batterie.

Dies ist die Basis des Tempris-Systems (Temperature Remote Interrogation System): Der im Produktionsraum installierte Sensor besitzt ebenso wie die außen installierte Abfrageeinheit zur Funk-Kommunikation eine Antenne. Die Abfrageeinheit sendet periodisch ein Signal mit einer Frequenz von 2,4 GHz. Die Sensor-Antenne empfängt dieses Signal und pulsiert je nach Temperatur des Schwingquarzes mit einer bestimmten Frequenz. Die Überlagerung der Sensorantwort mit dem Trägersignal führt zu einer Frequenzverschiebung, aus der sich (nach einer entsprechenden Kalibrierung) mit Hilfe der integrierten Auswerteelektronik die Produkttemperatur ableiten lässt.

Die berechnete Temperatur wird über eine LAN-Verbindung an die Tempris-spezifische DataServer-Software zum angeschlossenen PC übertragen, wo die Temperaturdaten protokolliert und visualisiert werden. Alternativ stehen die Echtzeit-Messdaten zur weiteren Verarbeitung in PLC- bzw. SCADA-Systemen zur Verfügung. Die System-Messgenauigkeit liegt bei ±0,7 K innerhalb eines Temperaturbereichs von -60 bis +60 °C (die Sensoren arbeiten somit präziser als herkömmliche manometrische Temperaturmessgeräte und Thermoelemente).

Noch einmal zur Verdeutlichung: Tempris-Sensoren beziehen ihre Energie ausschließlich aus dem Funkfeld. Im Gegensatz zu anderen Temperatursensoren wird durch die passive Technologie keine Wärme auf das Produkt übertragen. Der Verzicht auf Batterien vergrößert im Vergleich zu anderen Systemen die Sicherheit und Einsetzbarkeit im Produktionsequipment. Die Produkttemperatur wird in Echtzeit übertragen und liefert die zur Anlagensteuerung erforderlichen Daten.

Aus Nutzer- oder Anwendungssicht sprechen weitere Aspekte für diese Technologie: Die Sensoren sind zur Überwachung der Produkttemperatur in biotechnologischen und pharmazeutischen Anwendungen wie Gefriertrocknung, Sterilisation, Granulierung und Blisterverpackungen auch in bereits existierenden Anlagen und Maschinen nachrüstbar, sie benötigen keine zusätzliche Infrastruktur und insbesondere ist die Messwertermittlung auch an schwer zugänglichen oder weit auseinanderliegenden Orten möglich.

Das System ist sterilisierbar, robust und wiederverwendbar. Und ist konform mit FDA 21 Part 11 und mit GAMP 5 / cGMP. Die FDA (Food and Drug Administration) hat Tempris als vollwertiges PAT-Tool (Process Analytical Technology) akzeptiert [1].

Franke: Oberste Priorität hat bei uns das Konzept „Quality by Design“ (QbD) – somit rückt die Qualität bereits zu Beginn der Produktentwicklung bzw. Herstellung in den Vordergrund. In Kombination mit der ‚Process Analytical Technology‘ (PAT) geht das QbD-Konzept neue Wege im Qualitätsmanagement. Tempris versprach als PAT-Tool hier eine zusätzliche Qualitätsverbesserung.

Redaktion: Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Franke: Durch das Tempris-System entfällt die Unterbrechung unseres Herstellungsprozesses. Dadurch erhalten wir einen gleichbleibenden Ablauf der Granulierung und wir sparen pro Charge ca. 25 bis 45 Minuten Produktionszeit ein: Stopp des Mischers, Abbau des Vakuums, Einführen des Stichfühlers, Wiederaufbau des Vakuums – all das kostet bei Einsatz eines Stichfühlers zur Temperaturerfassung Zeit. Der gesamte Produktionsablauf ist mit Tempris nun ein geschlossener Prozess. Nicht zuletzt reduzieren wir durch das punktgenaue Anfahren der Soll-Temperatur Energie und damit Kosten.

Redaktion: Wie groß war der Aufwand zur Qualifizierung gemäß GMP?

Franke: Die Aufzeichnungen des Tempris-Systems helfen bei der Einreichung einer neuen Zulassung oder zur Unterstützung einer Änderungsanzeige an die Behörden. Das gilt insbesondere für den Abschnitt 32P des Common Technical Documents (CTD), der auf die Herstellung bezogen ist. Als von der FDA akzeptiertes PAT-Tool und ganz praktisch durch parallel durchgeführte Vergleichsmessungen konnten wir das System innerhalb von einer Woche qualifizieren.

Redaktion: Wie robust sind die Systeme? Wie aufwändig ist das Handling?

Franke: Die Sensoren sind durch ein Keramikrohr mechanisch geschützt, bisher hatten wir keine mechanischen bzw. elektrischen Ausfälle. Im Produktionsbetrieb gibt es keinen erhöhten Aufwand, nur das Kalibrieren ist gegenüber dem Stichfühler aufwendiger. Denn der Temperatursensor des Stichfühlers wird außerhalb des Granulators in einem Temperatur-Block-Kalibrator geeicht. Der Tempris-Sensor kann nur im eingebauten Zustand kalibriert werden. Dazu wird der Granulator mit Wasser befüllt, aufgeheizt und zu den Kalibrierpunkten per Vergleichsmessung kalibriert. Wir checken das derzeit im 3-Monats-Rhythmus. Weil die Kalibrierung über Jahre bereits konstant präzise bleibt, erwägen wir eine lediglich jährliche Wiederholung.

Redaktion: Sie sind Auftragsproduzent. Argumentieren Sie gegenüber Ihren Kunden mit den Vorteilen von Tempris?

Franke: Ja, insbesondere während den regelmäßig stattfindenden Kundenaudits. Den Kunden ist es sehr einfach verständlich zu machen, dass durch die Temperaturmessung während einer Trocknung im Vakuum der Granulationsprozess unterbrechungsfrei und damit gleichmäßiger abläuft und dadurch eine konstantere Qualität erreicht wird.

Praxisbericht: Tempris bei Hermes Pharma

Hermes Pharma GmbH mit Sitz in Pullach i.Isartal offeriert als Dienstleister die Entwicklung und Auftragsherstellung von Arzneistoffen und Nahrungsergänzungsmitteln. Insbesondere ist das Unternehmen an seinem Produktionsstandort in Wolfratshausen spezialisiert auf orale Darreichungsformen wie Brause-, Kau- und Lutschtabletten, Direktgranulate, Instantgetränke und NutriCaps (das sind Nahrungsergänzungsmittel in Form von Pulvern oder Granulaten).

Dazu arbeitet das Unternehmen mit patentierten Granulierungstechnologien. Eine Besonderheit ist die „Ein-Topf-Granulierung“ mit Topo [2]: Dabei wird das Granulat eingebracht und die Reaktion durch Erwärmen des Wassers in der Behälterwand gemäß Rezeptur zeitgesteuert. Die Rezeptur beschreibt, in welcher Zeit bei welcher Temperatur des Wassermantels die erforderliche Soll-Temperatur erreicht wird. Am Ende dieses Zeitfensters ist die Produkttemperatur zu messen.

Bislang wurde dazu RTD-Sensor eingesetzt (bei einem RTD Resistance Temperature Detector ändert sich bei einer Änderung der Temperatur dessen Widerstand). Der zeitgesteuerte Prozess wurde für die Temperaturmessung angehalten, mit Hilfe eines Handlochs konnte der Temperaturstab („Stichfühler“) eingeführt und die Produkttemperatur gemessen werden.

Dieser Prozessschritt ist grundsätzlich nicht zu beanstanden; er ist aber nachteilig, da die Temperatur im Topo-Granulator auf diese Weise nur an unterschiedlichen Positionen abgreifbar ist. Wurde zum Messzeitpunkt die Soll-Temperatur nicht erreicht, ist der Prozess gemäß Rezepturvorgabe fortzuführen (beispielsweise muss bei einer Untertemperatur von 2 °C weitere 5 min nachgeheizt werden); es ist dann eine erneute Messungen erforderlich. Damit ist per se eine Abweichung verbunden, die zu einer Störmeldung führt.

Ein weiteres Manko: Hat der Bediener die Produkttemperatur bei Unterschreiten der Soll-Temperatur direkt an der Behälterwand gemessen, führt das folgende Procedere quasi automatisch zu einer überhöhten Produkttemperatur (diese Charge ist dann zu verwerfen).

Mit Tempris bot sich eine Lösung zur berührungslosen Messung der Produkttemperatur während der Rotation im Produkt, ohne Unterbrechung des Granulationsprozesses an – und damit eine kontinuierliche Kontrolle der Rezeptur. Auch hier wird am Ende des gemäß Rezeptur gegebenen Zeitfensters die Produkttemperatur gemessen; bei noch nicht erreichter Soll-Temperatur wird ebenfalls nachgeheizt – aber nunmehr in Echtzeit überwacht und gesteuert. Überhöhte Produkttemperaturen sind nicht zu befürchten.

Tempris bietet damit als PAT-Tool die Inprozesskontrolle (In-process control). Die Daten werden kontinuierlich im identischen Messbereich des Granulats in Echtzeit an die speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) übertragen; menschliche Fehlerquellen sind ausgeschlossen.

Hubert Franke, Manager Production Engineering Electrics bei Hermes Pharma (s. Interview), fasst das Ergebnis so zusammen: „Mit Tempris wird der Prozess automatisch gesteuert und muss nicht unterbrochen werden. Durch die Automatisierung erhalten wir eine hohe Wiederholgenauigkeit gegenüber der bisher manuellen Messung mit dem Stichfühler. Und durch die gleichbleibende Temperaturermittlung können wir alle produktrelevanten Daten aufzeichnen und auswerten. Konkret: Wir erhalten umfassende Chargenberichte zu den hergestellten Produkten.“ Hermes Pharma setzt bereits seit 2016 auf Tempris, mittlerweile sind acht Granulatoren mit diesem System ausgerüstet.

Fazit: Digitalisierung in der Pharmaproduktion („Pharma 4.0“) heißt vor allem, die Anlagen mit Sensoren auszustatten und zu vernetzen, um die Produktqualität zu überwachen und Prozesse zu optimieren. Digitalisierung hat am Ende des Tages das Ziel der „Operational Excellence“: Qualität und Effizienz auf Basis einer stabilen Prozessführung, verbunden mit Anlagenverfügbarkeit und Flexibilität. Unter anderem mit Unterstützung der Tempris-Systemlösung ist Hermes Pharma dazu auf einem guten Weg.