Was tun, wenn kein Gas mehr kommt? Mit mehr als einer Million Liter Heizöl soll die Medikamenten-Produktion über mehrere Wochen gesichert werden.

Pharmaserv-Mitarbeiter bei Wartungsarbeiten in einer Energiezentrale.

ANZEIGE
Marburg
Der Pharmapark Behringwerke ist nicht nur Marburgs wichtigster Industrie-Standort: Die dort angesiedelten Unternehmen versorgen Menschen weltweit mit lebenswichtigen Medikamenten. Während der Corona-Lockdowns konnte in den Werken in der Marbach und in Görzhausen weitergearbeitet werden – denn die Unternehmen wurden zur kritischen Infrastruktur gezählt. Doch wie schaut es aus, wenn es zu einem Gas-Lieferstopp kommen sollte?

„Das weiß bisher noch niemand“, sagt Michael Schröder, Geschäftsführer und Standortleiter von CSL Behring. Und es ist ihm auch nicht besonders behaglich bei dem Gedanken, dass dies von der Bundesnetzagentur entschieden werden soll. Da dürften ihm die Rufe aus der Landespolitik wohl Recht kommen, die bei der Auswahl dieser Betriebe ein Mitspracherecht fordern.

CSL benötigt für die Produktion nicht direkt Gas. „Mehr als 90 Prozent der Erwärmungsprozesse finden bei uns mit Dampf statt“, sagt er. Und der werde von Pharmaserv produziert und zu den Standortfirmen verteilt. „Denn energetisch ist das der beste Wärmeträger.“ Hergestellt wird dieser Dampf jedoch mit Gas. „Sollte das nicht mehr fließen, hat Pharmaserv einen Plan B in der Schublade.“

Wie der ausschaut, erläutert Pharmaserv-Geschäftsführer Thomas Görge. Doch zunächst verdeutlicht er, welchen immensen Verbrauch es am Pharmastandort gibt: „Wir erzeugen hier 190 000 Tonnen Dampf mit 140 Gigawattstunden Gas im Jahr.“ Jährlich würden also 14,6 Millionen Kubikmeter Gas am Standort benötigt.

Zum Vergleich: Der durchschnittliche Gasverbrauch in einem Einfamilienhaus mit vier Personen liegt zwischen 2 400 und 3 200 Kubikmetern – Pharmaserv hat also den Verbrauch einer Kleinstadt mit gut 5 200 Häusern. „Das lässt sich nicht mit einigen Solarpanels oder einigen, wenigen Windrädern kompensieren – da müssen wir ein richtig dickes Brett bohren“, so Görge.

Der Dampf werde beispielsweise genutzt, um Autoklaven zu bedienen, in dem Abfüll-Equipment sterilisiert wird. Er werde auch genutzt, um Wasser für Injektionszwecke herzustellen, um Sterilisatoren laufen zu lassen – oder für zahlreiche weitere Produktionsprozesse.

Doch was genau ist der Plan B? „Wir können die beiden Kesselhäuser – je eins in der Marbach und eins in Görzhausen – auch mit Alternativ-Energien betreiben. Und zwar mit Heizöl“, sagt Görge. Das sei für die Nachhaltigkeit und die CO2-Bilanz nicht vorteilhaft. „Aber als kritische Infrastruktur und Teil der Gesundheitsvorsorge sind wir froh, dass es diese Möglichkeit gibt, um einen gesicherten Weiterbetrieb zu organisieren.“

Derzeit baue Pharmaserv Heizölreserven für den Standort auf, „um über mehrere Wochen einen Weiterbetrieb zu gewährleisten“.

Heizöl im Zwischenlager
Mehrere hunderttausend Liter seien es bereits, „insgesamt reden wir von mehr als einer Million Liter Heizöl, die wir hier und in der Nähe zwischenlagern“. Die Bevorratung koste gerade im Moment eine Menge Geld, „zudem müssen die Mengen auch logistisch bewegt werden“. Die zweite Priorität sei, darüber hinaus zu schauen, wo man noch Verbräuche reduzieren könne.

Michael Schröder betont: „Man muss das Thema zweiteilen: Auf der einen Seite steht die Versorgung mit fossilen Brennstoffen – und auf der anderen die Versorgung mit Strom.“ Vor dem Hintergrund des „Notfallplans Gas“, der die zweite von drei Stufen erreicht habe, „laufen in Koordination mit Pharmaserv Aktivitäten, um zu schauen, wo sich Energie einsparen lässt und wo noch Potenziale liegen.“ Dazu gebe es eine interne Task-Force bei CSL, „und auch einen Arbeitskreis, in dem alle Standortfirmen vertreten sind“.

CSL Behring habe jüngst begonnen, gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut ein Register aufzunehmen, „wo es noch Potenziale zum Einsparen gibt – und auch, was wir schon alles in dieser Richtung unternommen haben“.

So sei beispielsweise das Bauprojekt „Phönix“, wie der Neubau der Basisfraktionierungsanlage intern genannt wird, das „bisher größte jemals von der KfW mit einem Kredit bewilligte Projekt aufgrund seiner Energieeinsparungen, die wir dort realisiert haben“, sagt der Geschäftsführer. So sei früher das Wasser für Injektionszwecke in einem „Hot Loop“ gehalten worden – heißt: Es zirkulierte immer heiß im System, damit sich keine Keime bildeten.

„Jetzt haben wir einen ,cold Loop’, das Wasser wird mit Ozon behandelt“, erläutert Schröder – so werde immens Energie gespart. Beim Neubau des Gebäudes M600 komme ein Eisspeicher zum Einsatz, „M540 verfügt über eine Erdwärme-Heizung“, führt Schröder an, „wir unternehmen sehr viel“.

Ein großes Thema sei auch der Verbrauch von Trinkwasser. „Wir schauen, ob es Möglichkeiten gibt, Prozesswasser aufzureinigen, um es wieder zu nutzen. Allerdings müssen wir erst noch regulatorische Hürden nehmen, um das etablieren zu können“, sagt Schröder. Denn schließlich gehe es um die Herstellung von Medikamenten – und die sei immens streng reguliert.

Von Andreas Schmidt