Damit die Biopharmabranche die Herausforderungen der Zukunft bewältigt, braucht sie neue Strategien. Produktion, Prozessautomatisierung und die Steuerung von Produktionsprozessen müssen zusammenwachsen. Die entscheidende Rolle dabei: das Zusammenspiel zwischen MES und MTP.

Manufacturing-Execution-Systeme und das Konzept mit Module Type Packages heben die modulare Produktion auf eine neue Ebene.
Manufacturing-Execution-Systeme und das Konzept mit Module Type Packages heben die modulare Produktion auf eine neue Ebene. (Bild: Sangoiri – stock.adobe.com; M-Ludwig)
Die Pharmaindustrie steht unter Druck: Individualisierte Medizin, kleine Chargen, hohe Flexibilität und Time-to-Market. Jedes Jahr zieht sich die Schraube etwas fester zu. Vor allem die hochspezialisierten Biopharmaunternehmen wollen und müssen neue Wirkstoffe in kürzerer Zeit als bisher auf den Markt bringen und zusätzlich schneller auf wechselnde Marktanforderungen reagieren als der Wettbewerb. Alles klassische Aufgaben für den vieldiskutierten modularen Anlagenbau, der Konzepte wie Modul Type Packages (MTP) hervorgebracht hat und langsam auch in die Pharmaproduktion einzieht.

„In der Biopharmabranche geht es immer stärker um Flexibilität, Effizienz, Effektivität und natürlich um hohe Qualität“, betont Christian Schall, der als IT/OT Consultant und Teamleader Automation bei der Zeta und jetzt verantwortlich für die IT/OT Integration der Business Line Automation aus vielen Projekten weiß, wo den Unternehmen der Schuh drückt.

Warum das MES der ideale Ansatz für flexible Produktionskonzepte ist

Christian Schall, IT/OT Integration, Teamleader Automation
Christian Schall, IT/OT Integration, Teamleader Automation (Bild: Zeta)
Herr Schall, Zeta bietet ab sofort Beratungs- und Unterstützungsleistungen rund um das Fertigungsmanagement an. Wie sieht ihr Beratungsansatz aus?

Christian Schall: Zeta übernimmt die Rolle eines Projektentwicklers. Wir sprechen mit dem Kunden über seine Vorstellungen und Ziele und führen erst einmal eine Bestandsaufnahme durch. Wir schauen auf den Prozess, die Produktvielfalt, die Anlagen und deren Wartung, die Betriebsphilosophie, den Automatisierungsgrad, die Leistung, die Qualität und den Ertrag sowie die Infrastruktur einschließlich IT und Geschäftsprozesse. Neben den Produktionsleitern und -mitarbeitern werden weitere Abteilungen involviert: Qualitätssicherung und -kontrolle, Auftragsabwicklung und Materialwirtschaft, IT, Service und Instandhaltung liefern wertvolle Inputs. Das Basisdesign des MES, so wie wir es interpretieren, umfasst eine „Systemlandschaft“: ein Layout der gesamten Automatisierungslandschaft bis hin zur Unternehmensebene mit allen interagierenden Systemen und deren Datenflüsse.

Ausgangspunkt der Beratung ist das MES. Warum?

Mit modularen Produktionskonzepten wie dem Ballroom-Konzept, wollen die Biotechproduzenten schneller auf Produktwechsel und Marktanforderungen reagieren können. Das stellt insbesondere die Produktionsplanung vor neue Anforderungen. Eine grundlegende Funktionalität auf Managementebene ist das Manufacturing Execution System (MES). Zum Teil gibt es bereits entsprechende Systeme in den Unternehmen, die wir gemeinsam mit dem Kunden und den Systemlieferanten für die neuen Anforderungen weiterentwickeln. Es gibt aber auch Greenfieldprojekte bei denen wir von Grund auf eine neue Systemlandschaft entwickeln.

Wo liegen die großen Herausforderungen bei den Projekten?

Eine große Herausforderung liegt stets in der so genannten IT/OT-Konvergenz zwischen der Produktionsebene und der betriebswirtschaftlichen Ebene: Wie können datenzentrische IT-Systeme mit steuerungs- und überwachungsorientierten OT-Systemen verknüpft werden? Wie lassen sich Geschäftsprozesse mit der Fertigungs- und Prozesssteuerung in Einklang bringen? Die Gestaltung der MES-Schnittstelle ist deshalb von großer Bedeutung, da sie mit einer Vielzahl von Tools und Softwaresystemen über die Automatisierungsebenen hinweg verbunden ist. Die Technologie für den Informationsaustausch zwischen PCS, DCS, Datenarchiv, ERP, LIMS, BMS, EMS, Warehousing, Material & Storage, Instandhaltungsmanagement etc. wird definiert und spezifiziert. Auch die Klärung und Integration von Schnittstellen zu Drittsystemen ist Teil des Schnittstellenkonzepts.

Neue technologische Konzepte, welche die angestrebte Modularität unterstützen, gibt es: Das Ballroom-Konzept z. B., bei dem Produktionsmodule und Komponenten per Plug-and-Produce nach Bedarf zusammengestellt werden, ermöglicht es, heute mRNA-Vaccine, morgen einen monoklonalen Antikörper und übermorgen einen onkologischen Wirkstoff herzustellen. Basis sind Docking-Stationen mit standardisierten Anschlüssen für mobile Reaktoren, Zentrifugen, Filter, Chromatographen und vieles mehr – alles lässt sich leicht in übergeordnete Produktionssteuerungs-, SCADA- und Überwachungssysteme integrieren.

Ziel ist es, mit dem Kunden gemeinsam eine Vision zu entwickeln und die beste Lösung nicht nur für den Prozess an sich, sondern für den gesamten Produktionsablauf zu finden.
Christan Schall, IT/OT Integration, Teamleader Automation, Zeta

Diese Wandlungsfähigkeit stellt Anforderungen: Nicht nur an das Equipment, das modular und flexibel einsetzbar sein muss. Es betrifft auch die Automatisierung sowie die IT-Landschaft zur Produktions- und Geschäftsteuerung, sonst bleibt das Schlagwort von der Flexibilität Makulatur.

Gefragt ist der Blick aufs große Ganze
Und hier kommt nun Zeta ins Spiel, genauer gesagt das Team von Christian Schall. „Die Biopharmabranche braucht einen ganzheitlichen Blick auf ihre Produktion, um für zukünftige Marktanforderungen gerüstet zu sein,“ sagt der Experte. Der One-Stop-Solution Provider kennt die „Schmerzen“ der Branche wie kaum ein anderer und arbeitet an neuen Konzepten, die Geschäfts- und Produktionsprozesse verknüpfen – also die Brücke zwischen Prozessen am Shopfloor und der Managementebene schlagen.

„Ziel ist es, mit dem Kunden gemeinsam eine Vision zu entwickeln und die beste Lösung nicht nur für den Prozess an sich, sondern für den gesamten Produktionsablauf zu finden“, betont Schall. Dabei helfen die Erfahrungen aus zahlreichen komplexen Pharmaprojekten ebenso wie das vernetzte Wissen der Zetaexperten aus Bioverfahrenstechnik, Automatisierung, Engineering und Digitalisierung.

Erst geht es um das MES …
Kristallisationskeim vieler Gespräche, die Schall führt, ist das MES (Manufacturing Executive System). Viele Unternehmen wollen endlich papierlos arbeiten und da ist das MES der Ausgangspunkt. Doch Schall hat gelernt, dass diese Wünsche oft nur ein Symptomschmerz sind. Bohrt man tiefer, stößt man auf die tatsächlichen Ursachen. „Meistens dauert es nicht lange bis sich die Diskussion über MES auf die Idee hinter der Frage konzentriert: „Wie kann die Produktion optimiert werden?“

Die Flexibilität des Ballroom-Konzepts verlangt einen Automatisierungs- und Digitalisierungsgrad, den nur die intensive Vernetzung der beteiligten ERP, MES und Automatisierungssysteme ermöglicht.
Klassische MES-Aufgaben in den Pharmaunternehmen sind Rezeptursteuerung, Weighing & Dispensing, Electronic Batch Recording, Prüfung und Chargenfreigabe – all das selbstverständlich unter GMP-Gesichtspunkten und Einhaltung aller behördlicher Regularien. Wobei es, Schalls Erfahrungen nach, in den meisten Fällen vorerst um die papierlose Produktion, die elektronische Berichterstattung und Bedienerführung geht. Aktuell meist umgesetzt im OT-Bereich Weighing & Dispense mit ersten Verknüpfungen zur IT-Welt. Die MES-Welt ist historisch mit den GMP-Anforderungen gewachsen und legt den Schwerpunkt auf den Master Batch Record, Audit-Trails, Qualitätsnachweise, papierlose Produktion und Paper-on-Glass-Dokumentation – 21 CFR Part 11-Compliance und die Inspektoren der FDA lassen grüßen.

Die eigentliche Prozess-Steuerung und Anlagenverfügbarkeit gehören zurzeit noch nicht bzw. nur oberflächlich zum MES-Umfang. Wobei immer mal wieder auch typische ERP-Aufgaben, wie Materialwirtschaft oder Ressourcenplanung abgebildet werden, also Grenzen durchaus verschwimmen können. Schaut man sich die neuen Produktionskonzepte genau an, wird schnell klar: Diese Strukturen bilden die Anforderungen moderner Biotechproduktionen nur unzureichend ab. Und das erkennen zunehmend auch die Pharmaverantwortlichen. Die Flexibilität des Ballroom-Konzepts verlangt nämlich einen Automatisierungs- und Digitalisierungsgrad, den nur die intensive Vernetzung der beteiligten ERP, MES und Automatisierungssysteme ermöglicht.

Ziel: IT/OT-Konvergenz und die Folgen für die Automatisierungspyramide
Mit Folgen für die klassische Automatisierungspyramide: Datenfluss und standardisierte Schnittstellen durch die Ebenen hindurch sind gefordert und zwar in beide Richtungen. Die Koordination des biopharmazeutischen Tanzsaals ähnelt deshalb tatsächlich einer Ballett-Partitur – jeder muss zu jedem Zeitpunkt wissen, wo der andere ist und was er macht.

Übertragen auf das Management des mobilen Ballroom-Equipments heißt das beispielsweise: Welches Modul wird für welchen Produktionsschritt gebraucht? Wo befindet sich das Modul gerade? Wie lange dauert die Reinigung? Auch Produktionsplanung und Mengensteuerung gehören dazu. Ganz zu schweigen von den ganzen Verfahrensdetails, den kritischen Prozessparametern und den manuellen Schritten, die bei individualisierten Arzneimitteln unter Umständen noch dazu kommen. All dies generiert große Mengen an Daten, die idealerweise zwischen den beteiligten Systemen ausgetauscht werden.

Nach MES kommt MOM
„Damit kommen ganz neue Aufgaben auf das MES zu“, sagt Schall, weshalb er auch lieber von „Manufacturing Operation Management“ spricht. IT/OT-Konvergenz sei das Ziel und die MOM/MES-Ebene werde zur entscheidenden Schnittstelle zwischen der „operativen Welt“ (OT) und der „Business-Welt“ (IT). „Es gilt, die gesamte Produktion und deren Prozessschritte zu überdenken und umzugestalten, Funktionalitäten (z. B. Rezeptdesign, Prozessablauf) neu zuzuweisen und den automatisierten Prozessablauf in das MES zu integrieren“, erklärt der Zeta-Experte.

Mithin geht es in den Beratungsgesprächen meist um nicht mehr und nicht weniger als die Umgestaltung der Software-Landschaft. Diese Notwendigkeit haben mittlerweile auch die MES-Hersteller erkannt, die selbst den richtigen Grad an Vernetzung und Konnektivität mit unter- und übergeordneten Ebenen der Automatisierungspyramide suchen. Zeta, respektive Schall, sieht sich hier als Sparringspartner: „Wir bringen als Biopharmaexperte das notwendige Know-how mit und unterstützen die Softwarehersteller als Consultant und Systemintegrator.“

Schlagkräftige Verbindung: MES und MTP
Die Diskussionen sind in vollem Gang und das eingangs erwähnte Modul-Type-Package-Konzept spielt eine entscheidende Rolle. Das MTP-Konzept ist nicht nur Schalls Ansicht nach der Schlüssel zur modularen Biopharmaanlage. Seit 2015 treiben Namur und ZVEI das Konzept voran, das mittlerweile reif ist für die Praxis. Die Grundidee: Bei der dezentral organisierten Modulautomation fungiert das MTP ähnlich wie ein Druckertreiber als Schnittstelle zwischen Modul und der im Prozessleitsystem angesiedelten Orchestrierungsebene.

Der Zeta Freeze Controller als Demonstrator für MTP

Das MTP-Konzept sieht vor, große Teile der Steuerungs- und Regelungsintelligenz in die Module selbst zu verlagern, um diese dann herstellerunabhängig und flexibel in die Prozessleitebene integrieren zu können. Basis des Ansatzes ist die digitale Beschreibung der Schnittstellen und Funktionen der Automatisierungstechnik des Anlagenmoduls in Form des Module Type Package (MTP). Eine wichtige Voraussetzung zur Integration der Module ist eine MTP-fähige Prozessleitebene. Dazu braucht es eine einheitliche und übergeordnete Oberfläche, die die Orchestrierung der Module ermöglicht. Diese Ebene wird als Process Orchestration Layer (POL) bezeichnet. Der Datenaustausch zwischen Modul und der Orchestrierungsebene erfolgt im Betrieb über die OPC Unified Architecture (OPC UA). An der Implementierung des MTP-Standards ist Zeta mit einigen namhaften Systemlieferanten mit Pilotprojekten beteiligt.So entsteht zurzeit ein Demonstrator-System für unterschiedliche Anwendungen beispielsweise auf Basis eines Freeze Controllers. Das in der Praxis bewährte, automatisierte System zum kontrollierten Einfrieren, Temperaturhalten und Auftauen von wertvollen biopharmazeutischen Produkten soll zum MTP-fähigen Modul entwickelt werden, um es flexibel in modulare Anlagen zu integrieren. Auf dem Weg dorthin gilt es, die MTP-spezifischen Standards zu implementieren, und zwar in allen zum Tragen kommenden Kategorien (es sind zwölf VDI-Blätter geplant). Die Automationsexperten der Zeta Deutschland werden anhand unterschiedlicher Use-Cases-Lösungen zeigen, wie der Demonstrator ins Leitsystem integriert wird.

Es sorgt dafür, dass die Prozessmodule ohne eigenen Engineering- oder Anpassungsaufwand in das übergeordnete Leitsystem integriert werden können. Auch Zeta setzt auf das MTP-Konzept und haben ihren Freeze Controller MTP-fähig gemacht – ein Demonstrator steht mittlerweile in München (siehe Kasten). Doch das Dreamteam MTP/MES soll in Zukunft die Biotechproduktion noch weiter flexibilisieren und die Branche einen großen Schritt in Richtung Digitalisierung weiterbringen. Die Möglichkeit zur servicebasierten Prozessführung durch das MTP hat im letztem Jahr eine wichtige Voraussetzung geschaffen.

Die Integration der Prozessführung in das MES schafft mehr Flexibilität
„Aus der PLT-Ebene heraus können die Modulfunktionalitäten gesteuert und Daten ins MES übergeben werden“, erklärt Schall. Damit sei es auch denkbar, Teile der MTP-Funktionen ins MES zu verlagern, z. B. Prozessabläufe und Sequenzen aus der Package Unit (PEA) ins MES zu verlagern, welches dann die flexible Orchestrierung der Prozesse erlaubt. Die autarken Module stellen dann nur mehr die technologischen Funktionen zur Verfügung welche aus dem MES/POL individuell und flexibel gesteuert werden. Schall sieht darin mehrere Vorteile: Wandert die Prozessführung in die MES-Ebene, bietet das mehr Flexibilität für den Kunden vor allem, wenn das MES gleichzeitig noch auf Produktionsplanung und Asset-Management zugreifen kann.

Zusätzlicher Vorteil: Alle Prozessdaten stehen auf diese Weise für Analyse und Prozessoptimierung zur Verfügung und ermöglichen eine ganzheitliche Sicht auf den Prozess. Das Fazit des Zetaexperten lautet deshalb: „Erst die Verbindung von MES plus MTP bricht die Grenze zwischen IT und OT auf und schafft echte Konvergenz zwischen der operativen und der Business-Ebene.“