Draußen toben mehrere Stürme gleichzeitig: Corona, der Ukraine-Krieg, die Inflation, brüchige Lieferketten, der Fachkräftemangel und eine drohende Rezession. Drinnen sitzen derweil die Manager von Vetter Pharma in ihrem beeindruckenden Neubau in Ravensburg, gehen akribisch ihrem Geschäft nach und trotzen allen Krisen. Der Pharmadienstleister befindet sich – wie schon in den vergangenen Jahren – auf steilem Wachstumskurs.

„Wir rechnen für das kommende Jahr mit einer zweistelligen Umsatzsteigerung – und auch in den Jahren danach“, sagt Vetter-Geschäftsführer Thomas Otto im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Der Manager und sein Geschäftsführer-Kollege Peter Sölkner erwarten für das laufende Jahr einen Umsatz von 885 Millionen Euro, für 2023 dann etwa 970 bis 980 Millionen. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei 840 Millionen Euro. Die Nachfrage der Kunden sei ungebrochen hoch. Bis zum Ende dieser Dekade rechnen die Manager mit einem Jahresumsatz von stolzen 1,8 Milliarden Euro.

Vetter beliefert die ganz großen Namen der Branche

Die beiden Geschäftsführer führen dies auf die hohe Qualität der Vetter-Produkte zurück aber vor allem auch auf die durchgängige Lieferfähigkeit des Pharmadienstleisters. In der Branche, in der es um das Wohl und Wehe der Patienten gehe, sei dies das entscheidende Kriterium – noch viel wichtiger als der Preis. „Selbst während der Hochzeit der Corona-Pandemie waren wir immer zu 100 Prozent lieferfähig“, berichtet Sölkner zufrieden.

Und genau dies schätzten die rund 200 Vetter-Kunden, zu denen kleine Biotech-Startups ebenso gehören wie die ganz großen Namen: Bayer, Pfizer oder auch Novartis. Vetter hat sich seit Jahrzehnten darauf spezialisiert, Wirkstoffe steril in Spritzen und andere Injektionssysteme abzufüllen – mit weltweitem Erfolg. „Wir arbeiten für sämtliche Top-20-Unternehmen aus der Pharma- und Biotech-Branche“, berichtet Geschäftsführer Sölkner, der bereits seit 2008 bei Vetter an Bord ist. Sein Kollege Otto leitet sogar schon seit 2002 das Ravensburger Unternehmen.

Eine lange Betriebszugehörigkeit ist nicht nur für die Geschäftsführung typisch. „Wir haben insgesamt eine sehr geringe Fluktuation“, berichtet Sölkner. 97 Prozent der Kolleginnen und Kollegen, die bei Vetter seit 2015 eine Ausbildung absolviert haben, seien immer noch an Bord. Dies liege nicht nur an der guten Bezahlung, sondern auch an den „interessanten und sinnstiftenden Tätigkeiten“ sowie an den guten Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Haus, betonen die beiden Geschäftsführer. Neben einem Inflationsbonus von bis zu 2000 Euro erhalten alle tariflich Beschäftigten ab April durchschnittlich 5,5 Prozent mehr Lohn.

Künftig deutlich mehr Auszubildende

Nichtsdestotrotz gestaltet sich in Zeiten des Fachkräftemangels die Mitarbeitersuche immer schwieriger. Deshalb will Vetter, der mit Abstand größte Arbeitgeber in Ravensburg, die Zahl der Auszubildenden in Zukunft kräftig aufstocken. Derzeit beginnen jährlich etwa 50 Azubis und Duale Studenten ihre Ausbildung bei dem Unternehmen, in den vergangenen Jahren waren es noch 30 bis 35, schon bald sollen es 65 bis 70 pro Jahr sein.

Diese kämen vor allem aus der Region Oberschwaben. Spezielle Fachkräfte würden aber auch deutschlandweit angeworben und kämen zum Teil sogar aus dem Ausland zu Vetter. „Inzwischen arbeiten Menschen mit 62 unterschiedlichen Nationalitäten bei uns. Darauf sind wir stolz. Das funktioniert auch extrem gut“, berichtet Sölkner. Zur festen Belegschaft bei Vetter gehören mittlerweile 30 syrische Staatsbürger, die 2015 auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland kamen und hier heimisch geworden sind. Auch drei Ukrainerinnen arbeiten bereits bei Vetter, zehn weitere absolvieren noch vorbereitende Sprachkurse.

In fünf bis sechs Jahren bis zu 8000 Mitarbeiter

Auch wenn die Suche nach Fachkräften immer schwieriger werde – gerade im Raum Bodensee-Oberschwaben mit seiner sehr hohen Beschäftigungsquote –, will Vetter in der Region weiter wachsen. Die Zahl der Mitarbeiter soll in den „nächsten fünf bis sechs Jahren“ von derzeit 5800 auf dann 7000 bis 8000 anwachsen – etwa 7300 davon in der Region. Hier investiert Vetter auch kräftig in Gebäude und Produktionsstätten. So wurde jüngst ein neues Materiallager in Ravensburg für 20 Millionen Euro errichtet.

Es bietet auf 7700 Quadratmeter Fläche Platz für mehr als 16 000 Paletten. „Das zusätzliche Lager zeigt: Wir investieren in sichere und effiziente Lieferketten“, erläutert Geschäftsführer Otto. Darüber hinaus wurde kürzlich ebenfalls in Ravensburg ein neues Mehrzweckgebäude in Betrieb genommen. Eine neue klinische Fertigungsstätte ging im vergangenen Jahr am Standort Rankweil im österreichischen Vorarlberg an den Start. Und ein weiteres Produktionsgebäude zur keimfreien Medikamentenherstellung befindet sich derzeit in Ravensburg im Bau und wird voraussichtlich bis 2026 fertiggestellt sein.

„Trotz aller Herausforderungen, wie der pandemischen, politischen und wirtschaftlichen Lage, werden wir weiter investieren – in unsere Belegschaft und in unsere Standorte. Wir möchten damit der steigenden Marktnachfrage und unserer Verantwortung gegenüber Patienten weltweit gerecht werden“, fasst Otto die Aktivitäten zusammen. Vetter hat 2021 insgesamt 171 Millionen Euro investiert.

Im laufenden sowie in den kommenden Jahren sollen es jeweils zwischen 80 und 120 Millionen Euro pro Jahr werden. Diese enormen Summen ergeben sich aus dem steilen Wachstumskurs von Vetter aber auch den sehr hohen Kosten für die High-End-Produktionsstätten. „Der Bau und die Einrichtung eines Reinraumes für die sterile Produktion auf höchstem Qualitätsniveau kostet mehr als 50 Millionen Euro“, berichtet Geschäftsführer Otto.

Neuer Produktionsstandort in den USA

Nach Jahren der Investitionen in der Region Oberschwaben wird künftig vermehrt der Fokus auf die USA gerichtet, den mit Abstand wichtigsten Markt für Vetter, der mittlerweile 60 Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht (Europa: 35 Prozent, Asien-Pazifik: 5 Prozent). Nahe Chicago soll eine Produktionsstätte entstehen, das Grundstück dafür ist bereits gesichert, der Bebauungsplan fertiggestellt. „In fünf bis sechs Jahren könnten wir dort produzieren“, kündigt Otto an.

Mit dieser Investition im „hohen dreistelligen Millionen-Betrag“ will der Pharmadienstleister aus Oberschwaben direkt in seinem Hauptmarkt USA produzieren und zugleich global noch breiter aufgestellt sein. So könnten, je nach Kundenwunsch, in Zukunft Medikamente auf zwei Kontinenten produziert werden. Dadurch wollen die Ravensburger künftig noch besser allen Stürmen trotzen und ihren Wachstumskurs unbeirrt fortsetzen.