Biotechnonologie 4.0
Warum die Zukunft der Impfstoffproduktion genau jetzt beginnt

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Modularisierung, Digitalisierung, Big Data und künstliche Intelligenz in der Biotechnologie – klingt alles noch nach ferner Zukunft. Sanofi traut sich in seinen „Evolutive Vaccine-Facilitys“ an all das heran und will sich technologisch an die Spitze setzen. Definiert der Pharmakonzern gerade die Zukunft der Vaccine-Produktion neu?

Noch existieren die neuen „Evolutive Vaccine-Facilitys“ in Singapur und Neuville-sur-Saône von Sanofi nur als Animationen auf Youtube. In dem vierminütigen Video rollen Avatare Maschinen durch den Raum, tragen Augmented Reality-Brillen und Fahrzeuge rollen wie von Geisterhand gesteuert durch Lagerhallen und Flure. Die Zukunft der Biotechnologieproduktion ist digital und vernetzt. Sanofi ist Vorreiter, der diese Vision wahr werden lässt. Das soll hier klar werden und tatsächlich arbeitet der Konzern mit Hochdruck daran, die neue Welt der Biotech-Produktion Wirklichkeit werden zu lassen. Auf der Baustelle im französischen Impfstoffzentrum Neuville-Sur-Saone rollen bereits die Bagger und auch in Singapur geht es voran, seit im April die Grundsteinlegung erfolgt ist.

Neue Konzepte für die Impfstoffproduktion

Impfstoffe hat CEO Paul Hudson als eines der strategischen Wachstumsfelder identifiziert und die neuen EVFs sollen ihren Teil dazu beitragen.

Der Pharmariese nimmt eine Menge Geld für die neuen Produktionskonzepte in die Hand, die ein echter Gamechanger werden und Sanofi technologisch an die Spitze katapultieren sollen: Allein eine halbe Million Euro in Neuville-sur-Saône und rund 400 Millionen Euro in Singapur. Von dort sollen die Länder Asiens beliefert und die Kapazitäten in Nordamerika und Europa ergänzt werden. In Neuville-Sur-Saone, seinen dritt größten Produktionsstandort in Europa hat Sanofi seit 2008 fast eine Million Euro gesteckt und von einem Chemiestandort zu einem der modernsten Biotech-Standorte weltweit transformiert. Folgerichtig entsteht nun die erste Evolutive Vaccine-Facility im Heimatland des französischen Konzerns.

Auf den Ideen, die hinter den EVFs stecken, ruhen große Hoffnungen. Die neue, hochmoderne Produktionsanlage stelle die Zukunft der biopharmazeutischen Produktion dar, erklärt z.B. Ana Alves, Standortleiterin in Neuville-sur-Saône. Alleinstellungsmerkmal der neuen Fabriken ist ihre hohe technologische Flexibilität, angelehnt an die Multipurpose-Anlagen der Feinchemie: Nicht nur um Impfstoffe soll es dort künftig gehen sondern gleichzeitig auch um inaktivierte Impfstoffe, Impfstoffe auf der Basis von rekombinanten Proteinen oder m-RNA, Enzyme oder monoklonalen Antikörpern.

Bis zu vier Impfstoffe will der Konzern zeitgleich herstellen und das ohne die Gefahr von Kreuzkontamination. Sogar biotechnologisch hergestellte Medikamente wie Enzyme oder monoklonale Antikörper sollen künftig dort produzieren werden können. Und schneller als bisher soll es auch gehen: Die Umstellungszeiten in der Vaccine-Produktion will Sanofi so auf auf zwölf Tage reduzieren. Ein Konzept das Sanofi in die Lage versetzen soll, schnell auf neue Marktanforderungen zu reagieren und möglicherweise eine Lehre auf die Covid-Pandemie ist, wo Impfstoffkapazitäten in Rekordzeit aus dem Boden gestampft wurden.

Lehren aus der Corona-Pandemie: Nur wer schnell ist gewinnt

Man werde sehr schnell auf sich ändernde Technologien und Bedürfnisse, einschließlich Pandemien, reagieren können, betont Alves.

2025, so der Plan, soll die Fabrik in Frankreich Betrieb gehen, 2026 die in Singapur. Ein ehrgeiziger Zeitplan, betrachtet man die vielen Neuerungen und die Zeit, die für Qualifizierung und Validierung sicher drauf gehen werden.

Die Impfstofffabrik der nächsten Generation, wie Sanofi diese selbst bezeichnet, wird bis unters Dach mit Automatisierung und Digitalisierung vollgestopft sein – das viel diskutierte Bioprocessing 4.0 soll hier Wirklichkeit werden. Angefangen von einem vollautomatisierten Lager mit autonom arbeitenden Transportfahrzeugen, über Robotertechnik bis hin zu vernetzten Wearables, welche die Pharmakanten befähigen, im Alarmfall von jedem Ort in die Produktion eingreifen zu können. Auch digitale Zwillinge der Equipmentmodule werden einziehen.

Wenn die Biotechproduktion zum Ballsaal wird

Clou des Produktionskonzeptes ist der modulare Aufbau des Equipments und der Einsatz von Single-Use-Komponenten, die je nach Bedarf nach dem Plug-and Produce-Prinzip zusammengestellt werden. Dahinter stecken modulare Dockingstationen z.B. für Fermenter, Pufferbehälter, Wassercontainer und weiteres Equipment – alle sind in einem separaten Containment eingehaust und beweglich. Die Pharmakanten können so die Module jederzeit im Produktionsraum an einen anderen Platz schrieben.

Diese Beweglichkeit innerhalb des Reinraums trägt den sprechenden Namen Ballroom-Konzept und unterscheidet sich grundlegend von der klassischen Zoneneinteilung des Reinraums, die statisch und wenig anpassungsfähig ist. Ein automatisiertes Leckageerkennungsystem soll übrigens das eingehauste Equipment und die Produktionsräume überwachen. Im Falle eines Druckverlustes wird Alarm ausgelöst und so der Verlust von Impfstoffchargen verhindert.

Die Sanofiplaner lassen alle Schritte des Gesamtprozesses in einem Reinraum mit einheitlicher Klassifizierung stattfinden, während sie die eigentliche Produktion in Miniumgebungen mit höherer Klassifizierung verlagern, was eine enorme Anpassungsfähigkeit ermöglicht und den Hersteller in die Lage versetzt, heute Keuchhusten- und morgen Grippe-Impfstoff zu produzieren.

Dieses Ballroomkonzept hat weitreichende Auswirkungen auf Automatisierung und Digitalisierung. Sanofi plant, das gesamte Equipment mit Inline- und online-Sensoren auszustatten, um Prozessparameter zu überwachen und zu erfassen. Die Anlagenleistung wird über Dashboards sichtbar gemacht, die eine Echtzeittransparenz der Leistungskennzahlen ermöglichen. Auch künstliche Intelligenz soll Einzug halten, damit die erhobenen Prozessdaten nicht auf einem Datenfriedhof landen – so soll aus Big Data Smart Data werden. Der Impfstoffproduzent verspricht sich dadurch eine höhere Ausbeute, bessere Impfstoffqualität und besser ausgelastete Produktionskapazitäten.

Datenanalyse, Augmented Reality und Digitale Zwillinge als Erfolgsfaktoren

Zwar klingt das Vorhaben der „Evolutive Vaccine Production“ spektakulär. Doch Sanofi arbeitet schon seit einigen Jahren an entsprechenden Produktionskonzepten. 2020 erhielt die Biotech-Produktion in Framingham den ISPE-Award Facility of the Year für das digitale integrierte Produktionskonzept, das die ISPE als Leuchtturm bezeichnet. Sanofi habe eine voll integrierte Bioprozessanlage gebaut, die die Anwendung von Einwegprozesstechnologie und flexiblem Anlagendesign auf ein neues Niveau hebe und Konzepte der Digitalisierung vorangetrieben, um Prozesssteuerung, Datenerfassung und Analytik vollständig zu integrieren, heißt es in der Begründung.

Zum ersten Mal ist hier auch der vieldiskutierte digitale Zwilling verwirklicht, der durch Simulation Prozessoptimierung ermöglicht ohne in den laufenden Prozess einzugreifen. Sowohl in Neuville-sur-Saône als auch in Singapur setzt Sanofi eine virtuelle Umgebung von Dassault ein, die durchgängiges Datenmanagement über den gesamten Produkt-Lebenszyklus hinweg ermöglicht. Mithilfe eines virtuellen Zwillings kann Sanofi die für einen bestimmten Herstellungsprozess erforderliche Rezeptur, die Ausstattung und die Verbrauchsmaterialien sowie die Abläufe und Aktivitäten der verschiedenen Module und Bediener im „Ballroom“ visualisieren und simulieren.

Das verspricht eine schnellere Entwicklung neuer Module, Prozesse und Anlagen und soll künftig die Umstellung auf neue Arzneimittel und so das Product Lifecycle Management (PLM) perfektionieren.

Momentan ist das noch Zukunftsmusik. Doch das Ziel ist klar gesteckt und ehrgeizig: Bis 2025 sollen Qualifizierung und Validierung abgeschlossen sein und erste Impfstoffe die Fabrik verlassen.

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Dieser Beitrag Warum die Zukunft der Impfstoffproduktion genau jetzt beginnt stammt aus folgender Quelle www.process.vogel.de und wurde am 2022-12-09 10:10:00 veröffentlicht.

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