Kontiproduktion in der Pharmaindustrie Warum es ohne Konti bald nicht mehr gehen wird

26.11.2021Von Anke Geipel-KernKonti ist in der Pharmaproduktion angekommen und geht auch nicht mehr weg. Beflügelt durch die immer größer werdende Zahl innovativer und gleichzeitig sehr teurer Wirkstoffe, setzt die Pharmaindustrie auf die Technik, um schneller am Markt zu sein, und weniger des teuren Wirkstoffs für Klinikmuster, Scale up und Freigabeprozeduren zu verschwenden. Wie neue Arzneimittel die Spielregeln in der Produktion verändert.

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Kontinuierliche Mehrzweckplattform zur Herstellung von Tabletten aus Pulver (Bild: Gea) Die kontinuierliche Produktion in der Pharmaproduktion – lange als Nischentechnologie gehandelt – erobert langsam aber sicher die gesamte Pharmaindustrie. Seit die FDA 2015 das Vertex-Präparat Orkambi als erstes mit kontinuierlicher Direktverpressung hergestelltes Arzneimittel zugelassen hat, gäbe es kaum noch ein großes internationales Pharmaunternehmen, das sich nicht mit kontinuierlicher Produktion beschäftige, sagt Harald Stahl, Leiter Innovation & Strategie, bei Gea Pharma & Healthcare. Ergänzendes zum ThemaEine Frage – eine AntwortWarum der Draft der ICH Q13 zur Kontinuierlichen Produktion Sicherheit schafft, erklärt Harald Stahl, Leiter Innovation & Strategie, bei Gea Pharma & HealthcareHarald Stahl, Leiter Innovation & Strategie, bei Gea Pharma & Healthcare ( Bild: GEA ) Herr Stahl, was bringt der FDA-Draft der ICH Q13 zur Kontinuierlichen Unternehmen, die über den Einsatz der Technologie nachdenken?Die ICH Guideline befindet sich zwar noch im 2 Review Cycle hat aber trotzdem in der Industrie-Szene bereits jetzt jede Menge Aufmerksamkeit bekommen. ICH Guidelines haben den enormen Vorteil einer weltweiten Akzeptanz, was für global operierende Unternehmen sehr wichtig ist. Die Guideline hat zwar kaum revolutionär neue Erkenntnisse, aber sie fast mehr als zehn Jahre Erfahrungen der „early adopters“ und der entsprechenden Behörden in einem Dokument übersichtlich gegliedert zusammen. Besonders von Firmen, die bisher nicht massive eigene Erfahrungen aufgebaut haben wird das sehr begrüßt, denn auf diese Guideline kann bei regulatorischen Unklarheiten immer rechtssicher (nach finalem in Kraft treten) verwiesen werden. Zusätzlich werden an vielen Stellen auch Fragen zu Produktionsverfahren und -techniken detailliert beantwortet. Hier werden speziell die am Ende ausführlich diskutierten realen Beispiele als sehr hilfreich angesehen. Warum er von Konti so überzeugt ist, hat mit einer Entwicklung zu tun, die er schon länger beobachtet. „Seit einigen Jahren geht der Trend zu kleinvolumigen und gleichzeitig sehr teuren Medikamenten“, erklärt Stahl. Das gilt nicht nur für Parenteralia sondern auch für OSDs. Tabletten mit Wirkstoffen, die mehr als 100 Dollar pro Tablette kosten, finde man in der Liste der FDA-Neuzulassungen in letzter Zeit immer häufiger.
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Neue Therapien – kleinere Produktionsvolumina

Der Grund liegt u.a.in der Genforschung. Das Wissen um die genetischen Grundlagen von Erkrankungen ist in den letzten Jahren explodiert. Die Folge sind ganz neue Therapiemöglichkeiten mit Peptiden, RNA- und andere Nucleinsäure-Wirkstoffen sowie Zell- und Gentherapien, die zum ersten mal nicht nur Symptome kurieren sondern an den Ursachen angreifen und Krankheiten regulieren können. Die Zahl der therapeutischen Optionen auch für große Volkskrankheiten wie Krebs, Rheuma und andere Immunerkrankungen wird größer und damit sinkt die Zahl der Patienten und die verkauften Packungen.

Das Blockbustergeschäft ändert sich

Pharmaunternehmen knacken die Milliarden-Umsatz-Schwelle zum Blockbuster schon mit sehr viel geringeren Produktionsvolumina wie bisher. So kostet das 2016 von der FDA zugelassene Hepatitis C-Medikament Epclusa nach einigen Preissenkungen laut der Versandapothekte Doc Morris rund 357 Euro pro Tablette, was Gilead 2020 immerhin 1,6 Milliarden US-Dollar in die Kasse spülte. Das bedeutet im Umkehrschluss: Nicht nur die Zahl der Tabletten sinkt sondern auch die Menge der benötigten aktiven Wirkstoffe.
Die Statistik zeigt eine Prognose zu den zehn umsatzstärksten Arzneimitteln im Jahr 2021. Das vom US-amerikanischen Pharmariesen Merck & Co hergestellte Krebsmedikament Keytruda könnte demnach in diesem Jahr einen Umsatz von 16,8 Milliarden US-Dollar erwirtschaften. (Bild: Weltweit; Vantage; Evaluate; 2020 © Statista 2021) Umsatzrenner wie z.B. der Cholesterinsenker Lipitor (Sortis in der EU) von Pfizer oder das Schmerzmittel Aspirin von Bayer werden in großen Anlagen mit hohem Durchsatz hergestellt. Das Aspirin-Werk von Bayer in Bitterfeld z.B. verlassen jährlich mehr als zwei Milliarden Schmerztabletten, die in drei Schichten hergestellt werden. Auf noch größere Stückzahlen kommt das Pfizer-Werk in Freiburg. Hier werden Unternehmensangaben zufolge rund vier Milliarden Tabletten jährlich hergestellt. All diese Standorte haben eins gemeinsam, sagt Paul C. Collins, Ph.D. Small Molecule Design and Development bei Eli Lilly and Company der 2020 auf einem Workshop zur Zukunft der Pharmaproduktion referierte: Sie seien groß, sie seien teuer und sie arbeiten mit der Chemie und der Technologie des 20igsten Jahrhunderts. Ergänzendes zum ThemaBisher für Kontiproduktion zugelassene MedikamenteVertex: Orkambi und Symdeko, USA, EUJohnson & Johnson: Prezista, USAJohnson & Johnson: Tramacet, JapanEli Lilly: Verzenio: USA, EU, JapanPfizer: Daurismo USA, EUExperten, wie er glauben, dass nur kontinuierliche Verfahren den nötigen Paradigmenwechsel einleiten können: Weg von der Massenproduktion hin zu kleinskaligen, innovativen Technologien und parametrischen Chargenfreigabe-Methoden. Tatsächlich wäre es wirtschaftlich betrachtet ein teurer Spaß, für die Freigabeprozedur Tabletten mit einem Marktwert von mehreren 100 Euro zu zertrümmern oder beim Scale up die teuren Wirkstoffe im Wortsinn zu verpulvern.

Vorteil durch Konti: Schneller von der Klinik zur Produktion und weniger Substanzverbrauch

Mit kontinuierlichen Produktionsverfahren, erklärt Stahl, können Pharmaunternehmen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: „Der Substanzverbrauch sinkt, weil zur Klinikmusterentwicklung und zur Produktion die gleiche Anlage genutzt werden kann, das Scale up fällt weg und Unternehmen sind schneller am Markt.“ Wer einen teuren Entwicklungskandidaten in der Pipeline hat, wie damals Vertex, für den sollte Konti wie gerufen kommen. Das Orphan Drug Orkambi gegen Mukoviszidose ist das erste FDA-zugelassene Präparat, das komplett mit kontinuierlichen Verfahren hergestellt wurde: Hier zeigten und zeigte zum ersten Mal live die Vorteile der Technologie. Inzwischen gibt es mit Symdeco zur Behandlung der Mokoviszidose noch ein zweites Vertex-Präparat, der zur kontininuierlichen Fertigung zugelassen ist. Das Unternehmen, das im übrigen die Gea-Plattform Consigma nutzt, gibt in einem AAPS Newsmagazine-Artikel an, Wirkstoffe im Wert zehn Millionen Dollar gespart zu haben. Auch die Real-Time-Release-Freigabe sei inzwischen umgesetzt.

Unternehmen der ersten Stunde

Gea Pharma selbst sieht sich als Pionier der kontinuierlichen Produktion in der Pharmaindustrie. Seit 16 Jahren beschäftigt sich der Konzern mit der Technologie und investierte in die Consigma-Plattform, als andere Pharmazulieferer sich noch mit dem Beobachterstatus begnügten. Der Lohn der Risikobereitschaft ist ein satter Technologievorsprung und die Erfahrung aus über 85 installierten Kontianlagen. Erst in diesem Jahr hat Gea wieder zwei Aufträge im Wert von 20 Millionen Euro in Skandinavien und Irland eingefahren. Seit fast 30 Jahren ist Stahl in der Pharmabranche zu Hause, erst bei Schering und später bei Gea. Den Hype zu Beginn der Kontiproduktion hat er genauso erlebt, wie die Ernüchterung als den Pharma-CEOs klar wurde, wie viel Geld und Zeit die Umregistrierungen von Batch auf Konti verschlingen würden. Doch jetzt sei die Branche am Point-of-No- Return, getrieben von den Entwicklungskandidaten in der Pharmapipeline, die auf neuen genetisch basierten Erkenntnissen beruhen und nur noch wenig mit der symptomatischen Medizin früherer Zeiten zu tun haben. „Mit diesen neuen Wirkstoffen wächst der Bedarf an kontinuierlicher Produktionstechnik“, betont der Pharmaexperte. Konti sei gekommen um zu bleiben.

Konti ist mehr als kontinuierliche Direktverpressung

Allein Janssen Pharmaceutical betreibe mittlerweile vier Kontianlagen auf zwei Kontinenten: eine steht in Puerto Rico, zwei in Belgien, eine in Italien und sei damit einer der Vorreiter. Für die Mirror-1-Plattform für kontinuierliche Fertigung in Beerse erhielt der Konzern 2020 den Facility-of-the-Year-Award der ISPE. Die Anlage ist eine der modernsten weltweit ausgestattet mit PAT und Real-Time-Release. Sie vereint die Technologien: Nass- und Trocken- sowie Direktgranulation und kontinuierliche Tablettierung und deckt damit alle Eventualitäten der OSD-Produktion ab. Es sind zwei kontinuierliche Beschickungs- und Mischplattformen integriert, die wahlweise den Trocken- und den Nassgranulationsteil der Anlage bedienen, direkt in die Tablettenprese führen oder der Nass-/Trockengranulationsanlage nachgeschaltet sind.

Konti im Container

Auch Pfizer setzt mit der Zulassung des Leukämiepräparats Daurismo auf die kontinuierliche Direktverpressung. Das Präparat wird in Groton, Conneticut und in Freiburg auf einer Anlage hergestellt, die Pfizer als Portable Continuous Miniature Modular (PCMM)-Herstellungsplattform bezeichnet. Basis ist eine transportable kontinuierliche Produktionsumgebung, die in das modulare POD-System von G-Con integriert wird und von Pfizer, GEA und G-Con Manufacturing gemeinsam entwickelt wurde. Wie stark Pfizer inzwischen das Potential kontinuierlicher Verfahren einschätzt, verdeutlicht eine Aussage auf der Unternehmenswebseite: In den nächsten zehn Jahren würden 70 Prozent seines Portfolios an niedermolekularen, festen oralen Arzneimitteln auf der PCMM-Plattform hergestellt, was zu kürzeren Zykluszeiten, schnellerem Technologietransfer und geringerer Prozessvariabilität führen werde.

Mit Skids zur kontinuierlichen Wirkstoffsynthese

Auch für Lilly-Experte Collins sind Kontiverfahren der Schlüssel zur Produktion der Zukunft. Für die Herstellung des Brustkrebsmedikaments Verzenio nutzt man die kontinuierliche Direktkompression. Doch der Ansatz den Collins beschreibt ist deutlich weitreichender und greift bereits bei der die API-Herstellung von Wirkstoffen in der frühen Phase der klinischen Prüfung an. Die Anlage in Kinsdale, in der das neue Konzept umgesetzt ist, wird als Small Volume Continuous (SVC) bezeichnet, weil es hier um die Produktion von weniger als 1,5 Tonnen geht. Kern des Konzept sind mobile Skids mit Syntheseapparaten, die miteinander verbunden und auf verschiedene Weise konfiguriert werden können. Die Skid-Module und Beschickungsgefäße sind mit flexiblen Schläuchen verbunden, die für das Produkt bestimmt sind oder nach Gebrauch entsorgt werden können. Inzwischen springen auch indische und chinesische Firmen auf den Konti-Zug auf, sagt Stahl. Vor allem Generikafirmen, die mehr auf Opex achten, um mit den durchoptimierten Prozessen der Originalhersteller Schritt halten zu können. Neuen Schub sollte dem Thema Konti auch der im Juni 2021 von der FDA vorgelegte ICH Draft „Continuous Manufacturing of Drug Substances and Drug Productsdas Thema Konti verleihen. Hier erklärt die Behörde wie sie,die Entwicklung, Implementierung und den Betrieb von kontinuierlichen Produktionsprozessen sowie das Lebenszyklus-Management sieht.Fest steht jedenfalls: Die Pharmaproduktion wandelt sich und kontinuierliche Produktionsverfahren machen es möglich, schnell darauf zu reagieren. (ID:47278520)

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