Ein neues Medikament von Novo Nordisk hat die Aktie von Dialysespezialist Fresenius Medical Care auf Talfahrt geschickt. Fondsmanager Alexander Jenke über die Bedrohungen für andere Pharmariesen.
WirtschaftsWoche: Für viele Aktionäre des deutschen Dialysespezialisten Fresenius Medical Care (FMC) war die Nachricht ein Schock, dass Novo Nordisk ein Medikament gegen chronische Nierenleiden auf den Markt bringt, das die Blutwäsche überflüssig machen könnte. Die FMC-Aktie verlor 17 Prozent an einem einzigen Tag. Droht dem Dax-Konzern der Niedergang?
Alexander Jenke: Die Reaktion ist vielleicht übertrieben. Es wird in solchen Momenten fast so getan, als würde Diabetes langfristig verschwinden. So ist es aber nicht. Der Wettbewerb hatte auch zuvor schon zugenommen, und FMC hat auch viele hausgemachte Probleme. Aber besser werden die Perspektiven sicher nicht. Das Geschäft von Fresenius hat unter der Coronapandemie gelitten und sich noch nicht erholt.
Es war ein Schock, dass viele Patienten an Corona gestorben sind. Auch Anbieter von mobilen Dialysegeräten für zuhause, wie Outset Medical, machen den Bad Homburgern – ebenso wie ihrem Konkurrenten Davita – künftig das Leben schwer. Deren große Dialysezentren sind nicht mehr so gefragt, wenn die Möglichkeit besteht, Blutwäsche zuhause zu organisieren. Aber all diese Aktien gerieten auch unter Druck. Hätte man früher erkennen können, dass die guten Zeiten für FMC womöglich vorbei sind? Auch AstraZeneca und Boehringer Ingelheim mit Eli Lilly bieten Medikamente an, die Nierenversagen verhindern können.
Wenn es gut läuft – und so war es ja bei FMC sehr lange – neigen Pharmariesen dazu, übermütig zu werden. Deutschland war mal die Apotheke der Welt, mit Bayer und Hoechst, vor rund 20 Jahren. Aber dort hat man alles, was neu kam, wie etwa biotechnologisch hergestellte Medikamente von Pionieren wie Amgen, Regeneron oder Biogen, unterschätzt. Es war viel Arroganz im Spiel. Die heimischen Riesen waren zudem nicht aktiv im Übernahmegeschäft oder sie haben es völlig falsch gemacht – wie Bayer mit Monsanto. Auch dort war es die Arroganz, den weltgrößten Spezialisten für Agrochemie und Saatgut schaffen zu wollen, die ins Verderben führte.
Zur Person – Alexander Jenke
Alexander Jenke ist Betriebswirt und promovierter Biologe. Seit dem Jahr 2020 arbeitet er als Portfoliomanager bei der auf Biotech- und Gesundheitsunternehmen spezialisierten Fondsgesellschaft Medical Strategy in München. Nach dem Studium an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster war Jenke zunächst als Forschungsgruppenleiter am Universitätsklinikum Düsseldorf und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berliner Charité tätig. Welche Aktien wurden jetzt durch die Erfolge von Novo Nordisk ähnlich stark erschüttert wie die von FMC?
Aktien der Anbieter künstlicher Knie und Hüften oder auch medizinischer Diagnostik verloren stark, weil die Erwartung besteht, dass bei weniger Diabetesfällen und weniger Übergewichtigen künftig weniger Knie und Hüften kaputt gehen. Unternehmen wie Stryker könnten daher leiden. Auch Dexcom, ein Anbieter von medizinischen Messgeräten für die Glucose-Messung bei Diabetikern, verlor stark. Die Aktie notierte im Juli bei fast 140 Dollar, aktuell nur noch bei 70. Es bleibt aber abzuwarten, ob die Kursverluste in dem eingetretenen Ausmaß tatsächlich gerechtfertigt sind. Pharmaaktien galten früher als defensives Investment mit hohen Dividenden und stabilem Kursverlauf. Die Zeiten sind wohl vorbei.
Es gibt Unternehmen, die leiden und bedroht sind, aber es gibt auch diejenigen, die sehr geschickt bei Innovationen und Übernahmen sind. Die Kurse der Pharmaaktien werden sich daher viel volatiler und die Einzeltitel deutlich differenzierter entwickeln, als noch vor einem Jahrzehnt. Das bietet für uns Fondsmanager Chancen, wenn wir das frühzeitig erkennen und entsprechend investieren. Für Anleger ohne Expertise im Pharmamarkt ist die Streuung über viele Aktien via Fonds zu empfehlen. Warum können Anleger nicht einfach die großen Pharmaunternehmen kaufen?
Aktuell sind viele Big-Pharma-Unternehmen von dem Ablauf ihrer Patente betroffen, wodurch sie Umsätze von Verkaufsschlagern verlieren. In den USA wird zudem durch die Einführung von Zwangsrabatten auf die Medikamentenpreise von Blockbustern das Geschäft der Unternehmen zusätzlich erschwert. Welche Unternehmen sind denn geschickt bei Übernahmen und bei Innovationen immer dabei?
Die amerikanische Pfizer war nie besonders innovativ, aber bei Übernahmen war sie gut. Und dennoch: Bei ihr laufen zwei große Blockbuster in wenigen Jahren aus, für die Behandlung von Brustkrebs und die Schlaganfall-Prävention. Da es im Kerngeschäft nicht mehr so gut läuft, hat das Unternehmen jetzt die Übernahme von Seagen für 43 Milliarden Dollar angekündigt, die aber noch von den Kartellbehörden genehmigt werden muss. Pfizer hatte Glücksgewinne in der Coronapandemie und hat daher viel Geld in der Kasse.
Aber bei den Corona-Impfstoffen ist jetzt eher Katerstimmung. Pfizer ist also auf Übernahmen angewiesen. Die britische AstraZeneca und die französische Sanofi sind sehr geschickt vorgegangen bei Übernahmen und Lizenz-Deals, das macht sich auch im Kurs bemerkbar. Schwach sind derzeit die Aussichten für Abbvie, da nach dem Patentablauf für den Mega-Blockbuster Humira eine starke Umsatzerosion zu erwarten ist. Die Aktie stagniert, trotz Botox-Hoffnungen, weil fraglich ist, ob die Pharmapipeline die Humira-Patentklippe kompensieren kann. Bei der amerikanischen Merck wird mittelfristig auch viel Umsatz beim Mega-Blockbuster Keytruda wegbrechen, der in der Spitze auf einen Umsatz von 30 Milliarden Dollar pro Jahr kommen wird.
Auch Bristol-Myers Squibb steht durch Patentabläufe unter Druck und hat daher kürzlich mit der Übernahme von Mirati Therapeutics eine mittelgroße Akquisition im Onkologiebereich gemacht. Der Ablauf eines Patents ist lange bekannt. Warum senken Anbieter danach nicht einfach den Preis, um den Umsatz nicht komplett zu verlieren?
Es kommen üblicherweise sehr schnell mehrere Generika und Biosimilars als Konkurrenzprodukte auf den Markt, die sich gegenseitig beim Preis unterbieten. Dadurch brechen die Umsätze des Originalmedikaments meist sehr schnell ein. Versuche der Big-Pharma-Unternehmen, die Produktlebenszeit der Originale über die Entwicklung überlegener Kombinationswirkstoffe oder vereinfachter Applikationsrouten zu verlängern, also etwas mit einem Unter-die-Haut-Spritzen statt intravenöser Spritzen, sind häufig nicht erfolgreich. Meist können sie die Umsatzverluste nicht auffangen. Schweizer Aktien gelten als sehr solide. Wie sieht es denn für die dortigen Pharmawerte aus?
Roche und Novartis sind die Schweizer Riesen unter den Big-Pharma-Unternehmen. Während sich die Dinge bei Novartis zuletzt recht positiv entwickelt haben, gab es bei Roche zuletzt diverse Fehlschläge bei der Entwicklung neuer Blockbuster-Medikamente, etwa durch einen Misserfolg in der Alzheimer-Forschung. Der Aktienkurs von Roche hat darunter nachhaltig gelitten: Er lag mal bei fast 400 Schweizer Franken, jetzt steht er bei 250. Roche muss daher extern aktiv werden, um seine Pipeline durch Fusionen und Übernahmen zu verstärken. Das Unternehmen hatte gerade einen Erfolg bei einem Multiple-Sklerose-Wirkstoff und hat sich im Bereich Künstlicher Intelligenz verstärkt. Die Finanzmittel für Übernahmen sind bei den meisten großen Pharmaunternehmen vorhanden. Der Markt belohnt diejenigen, die früh richtige Entscheidungen treffen und gute Übernahmen hinbekommen.Lesen Sie auch, wie der Chef des Pharmazulieferers Sartorius die Lage sieht. Auch diese Aktie war in der Coronapandemie eine Rakete und stürzte dann ab Zur Startseite
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