Es geht hitzig zu bei Samson im Frankfurter Osten. 80 Grad heiß müssen die Chemiebäder sein, in die Industrieventile des Herstellers getaucht werden, um sämtlichen Schmutz und Fett zu entfernen. Anschließend wird der Korrosionsschutz in der Lackierung bei 100 Grad aufgetragen. Und dann wird die Oberfläche noch getrocknet, ebenfalls bei 100 Grad Celsius.

Um so viel Wärme generieren zu können, hatte das Unternehmen vor einigen Jahren extra ein eigenes Blockheizkraftwerk auf dem Betriebsgelände im Frankfurter Osten errichtet. Es wird mit Erdgas betrieben. „Wir dachten, wir hätten uns zukunftssicher aufgestellt“, sagt Samson-Chef Andreas Widl. „Und nun haben wir die Kostenexplosion.“

Energiekosten auf neun Millionen Euro verdoppelt

Zumal, wenn das Unternehmen von Oktober an die Gasumlage von 2,4 Cent je Kilowattstunde zahlen soll. 2,4 Cent, das klingt nicht viel. Doch Samson verbraucht im Jahr allein an Gas rund zehn Gigawattstunden. Damit entstünden nur durch die neue Umlage Mehrkosten von 240.000 Euro. Dabei erwartet das Unternehmen ohnehin, dass sich durch die gestiegenen Marktpreise die Energiekosten verdoppeln, auf neun Millionen Euro jährlich. „Der Staat macht mit der Umlage einen großen Fehler“, sagt Widl, denn sie nehme Verbrauchern und Unternehmen immer mehr Geld weg im Glauben, dass der Staat es besser als sie ausgeben könne.

So wie Samson hadern derzeit viele Unternehmer mit der neuen Umlage. Der Rohr- und Schlauchschellen-Hersteller Norma rechnet am Standort Maintal mit zusätzlichen Kosten von etwa 75.000 Euro – allein im vierten Quartal. Dort werden mithilfe der Erdgaswärme vor allem Metallschellen gehärtet und beschichtet.

Dabei gehört dieser Maschinenzulieferer noch nicht einmal zu den größten Erdgasverbrauchern in der Industrie. Das sind vor allem Hersteller von Zement, Kalk oder Ziegel, also von Baustoffen. Um Glas herzustellen, sind zum Teil Temperaturen von bis zu 1500 Grad Celsius nötig. Der Verband der Bauunternehmen warnt deshalb bereits davor, dass die Baukosten in den nächsten zwei Jahren nochmals erheblich steigen könnten.

Gewinne steigen stärker als Kosten

Und auch die Chemie gehört zu den Großverbrauchern. „Eine sehr große Belastung“, nennt Joachim Kreysing, Geschäftsführer des Industriepark-Betreibers Infraserv Höchst, die Gasumlage, angesichts der ohnehin gestiegenen Energiekosten. „Die Umlage ist zum momentanen Zeitpunkt für die energieintensive Industrie sehr schwer zu tragen.“ Sie könne zu weiteren Produktionsstopps führen, weil die Produktionskosten in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig blieben.

Die Industrie ist dabei bei Weitem nicht der größte Erdgasverbraucher in Hessen. Ihr Bedarf von zuletzt 10.000 Gigawattstunden ist weniger als ein Drittel dessen, was Haushalte, Geschäfte und Büros zum Heizen verbrauchen.

Und bislang zumindest hat sie die Kosten gut verkraftet. Der Clariant-Konzern zum Beispiel, der im Industriepark Höchst einen großen Standort hat, konnte im ersten Halbjahr seinen Konzerngewinn verdoppeln. Der Chemiekonzern Evonik, der in Hessen mehrere große Werke betreibt, hat im zweiten Quartal – also nach Beginn des Ukrainekriegs – seine vorherigen Gewinnerwartungen übertroffen. Und Samson-Chef Widl spricht von einem „bemerkenswert guten ersten Halbjahr“, das die Erwartungen übertroffen habe.

Zudem hat das produzierende Gewerbe in den vergangenen Jahrzehnten seinen Gasbedarf kontinuierlich reduziert, er ist nun ein Drittel niedriger als 1990. Der Pharmahersteller Boehringer Ingelheim beispielsweise errichtet derzeit in Ingelheim ein Heizkraftwerk, das mit Altholz betrieben wird und vor allem Erdgas ersetzen soll. Der Bau dazu hat bereits vor einem Jahr begonnen und soll 2023 abgeschlossen sein.

Norma hat schon im Dezember vergangenen Jahres eine neue Verbrennungsanlage in Betrieb genommen, die deutlich weniger Gas verbraucht als die vorherige Anlage, als Teil der Reduktion von Treibhausgasen. „Im Vergleich zum letzten Winter rechnen wir mit einem deutlich niedrigeren Gasverbrauch in der Maintaler Produktion“, heißt es von einer Unternehmenssprecherin.

Heizöl, Diesel und Kohle ersetzen Erdgas

Die Abkehr von Gas hat sich nun nochmals erheblich beschleunigt. Seit die Gefahr eines russischen Gasembargos droht, schwenken die Großverbraucher zu anderen Brennstoffen um. Evonik im Hanauer Industriepark Wolfgang erzeugt seinen Dampf zu 80 Prozent im eigenen Kohlekraftwerk. Der Konzern stellt dort unter anderem Lipide her, die als eine Art Verpackung für den neuartigen Corona-Impfstoff von Biontech benötigt werden. Der Standort Darmstadt wird mit Ferndampf aus dem städtischen Müllheizkraftwerk versorgt, die Werke in Weiterstadt und Steinau werden auf Heizöl umgestellt.

Auch der Hanauer Metall- und Komponentenkonzern Heraeus ist dabei, auf Heizöl umzustellen. „Die Planung und die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Substitution von Erdgas durch Heizöl in unserem Stammwerk in Hanau kommen voran“, berichtet Energiemanager Dietmar Bork. Zudem werde geprüft, welche Einsparungen bei der Beheizung von Gebäuden möglich seien. Was dies alles am Ende konkret spare, sei aber derzeit nicht absehbar.

Unternehmen ebenfalls Heizlüfter angeschafft. Das Blockheizkraftwerk muss im Extremfall stillgelegt werden, denn es lässt sich nicht mit alternativen Brennstoffen betreiben.

Und mittelfristig will Widl ohnehin komplett weg vom Gas. Die neue Fabrik in Offenbach solle nahezu vollständig energieautark arbeiten können, hofft er. Statt fossiler Brennstoffe, die importiert werden müssen, will er dort Solarenergie und Geothermie einsetzen. Doch bis die fertig geplant, genehmigt und errichtet ist, dauert es noch. Der Umzug wird für das Jahr 2026 angepeilt – zu spät, um der Gasumlage zu entgehen.

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